Witzwort und der erste Weltkrieg

200 Postkarten an die Schwestern Wilstermann

Text: Angela Jansen
Veröffentlicht: März 2018

Feldpostkarte von Johannes Bove an Magda Wilstermann

Vor hundert Jahren tobte der 1. Weltkrieg. Diese von Deutschland angezettelte kriegerische Auseinandersetzung kostete weltweit 17 Millionen Menschenleben. Es starben 10 Mio. Soldaten – darunter 2 Mio. Deutsche – und 7 Mio. Zivilisten. Der 1. Weltkrieg begann 1914 und endete im November 1918.  

In Witzwort war das Leben abseits der Fronten vermutlich weiterhin recht ruhig. Aber viele Familien hatten Angehörige im Krieg und die Lebensmittel waren rationiert.

Die Schwestern Wilstermann

Die Schwestern Wilstermann

Die Schwestern Wilstermann (links Magda, rechts Grete), ca. 1908

In unserem Archiv gibt es einen besonderen Bestand zum 1. Weltkrieg: über 200 Postkarten, die Soldaten aus dem Krieg an die Schwestern Wilstermann schickten. Die beiden Töchter des Witzworter Gastwirts Ferdinand Wilstermann und seiner Frau Emma, geborene Lindemann, waren Margarete (genannt Grete), geb. 1895 und Magdalene (genannt Magda), geb. am 31.12.1898. Die Familie lebte seit 1911 in Witzwort und betrieb den Gasthof (wo wir heute sitzen) und eine Schmiede (erst Dorfstraße 11, dann im Hof der Gastwirtschaft) bis zum Tod von Ferdinand Wilstermann in den 1950er Jahren. Ferdinand Wilstermann war am 29.4.1872 geboren, Emma Wilstermann am 2.10.1866. Sie starb am 24.12.1942.


Magda (links) und Grete Wilstermann zwischen 1920 und 1930

Grete und Magda blieben unverheiratet. Ob sie im Weltkrieg einen Freund oder Verlobten verloren, wissen wir nicht.
Magda arbeitete in der Gastwirtschaft mit, während Grete seit den 1920er Jahren ihr Geld als Wirtschafterin im Hause Jens verdiente. Später war sie bei der Post in Kiel angestellt.

Grete (2 x links) und Magda Wilstermann als Rentnerinnen
Grete (2 x links) und Magda Wilstermann als Rentnerinnen

Seit 1956 lebten die beiden Schwestern in Tönning im eigenen Haus (Neustadt 8) und später im Martje-Flors-Haus in Garding  Grete starb am 4.4.1989 im 94. Lebensjahr, Magda fast 96jährig am 6.12.1994.

Die Postkarten brachten die Weltereignisse nach Witzwort …

Die Schwestern, vor allem Magda, standen im 1. Weltkrieg mit 59 Soldaten in Briefkontakt. Es waren Bekannte aus dem Dorf, Onkels und Cousins, aber auch Männer, die den beiden Frauen persönlich unbekannt waren.

Bilanz der Feldpostkarten

Bilanz der Feldpostkarten an die Schwestern Wilstermann

Typisches Postkarten-Beispiel: Kitsch   Typisches Postkarten-Beispiel: Propaganda
Typische Postkarten-Beispiele: Kitsch und Propaganda

Die Soldaten schickten vor allem Feldpostkarten – oft kitschige Motive wie dieses, aber auch „normale“ Urlaubspostkarten oder Propagandamotive. Zum Teil ist der Schreibstil sehr förmlich: Viele Schreiber siezen „das Fräulein“. Einige schreiben aber auch sehr persönlich, berichten von Kriegshandlungen oder dem (angenehmen) Leben als Besatzungssoldat, sind stolz auf die „eigenen“ Erfolge oder wünschen sich ein baldiges Kriegsende.

Postkarte Alberts (16.4.1913)
Reservist Alberts grüßt aus den Lüften

Diese Postkarte stammt noch aus Friedenszeiten. Reservist Alberts schickt sie aus dem Lockstedter Lager am 16. April 1913 und schreibt: „Die besten Grüße von einer Fahrt in den Lüften sendet Reservist Alberts“.

Man ist zunächst verblüfft – ein aufwändiges Luftbild! Und das in einer Zeit, in der es noch keine Digitalfotografie und keine Bildbearbeitungsprogramme gab. Bei genauem Hinsehen erkennt man den Trick: Die untere Hälfte des Bildes ist vor ein Gerüst geklebt, auf dem die Männer stehen. Die obere Hälfte liegt hinter den Personen. Aus dem richtigen Blickwinkel fotografiert, entsteht so im Fotoatelier ein „Luftbild“.

Das Lockstedter Lager (heute Hohenlockstedt, bei Itzehoe) erreichte 1914 seine größte Ausdehnung mit 60 Quadratkilometern und bis zu 18.000 Soldaten. Während des Ersten Weltkrieges übten hier pro Jahr bis zu 115.000 Soldaten. Nahezu jeder männliche Bewohner der preußischen Provinz Schleswig-Holstein kam im Rahmen seines Wehrdienstes hierher.1

Der Name Alberts ist in Witzwort nicht selten. Es gibt im Archiv eine Tafel mit den Witzworter Weltkriegsteilnehmern. Dort finden wir sieben Männer mit dem Namen Alberts: Drei sind gefallen und vier haben überlebt. Welcher könnte der auf dem Lockstedter Bild sein? Die meisten Ähnlichkeiten entdeckten wir hier:

H. Alberts
H. Alberts: Das linke Foto zeigt H. Alberts, gefallen 3.4.1918 – zum Vergleich der auf dem Ballonfoto rechts stehende Mann.

Nicht alle waren an der Front, und nicht alle kämpften mit der Waffe: Diese Postkarte zeigt das Personal einer Großküche in Altona. Auf der Tafel im Hintergrund steht: Erinnerung an die Kriegsjahre 1914/16. Küche Metscher Altona.

Küche Metscher Altona 1914/16

Carl Sachau – Landsturmmann – schickte diese Karte im Dezember 1915 als Geburtstagsgruß an Magda. Vielleicht gehörte er zur Schlachterfamilie in der Dorfstraße? Auf der Tafel mit den Witzworter Weltkriegsteilnehmern gibt es allerdings keinen C. Sachau.

Metschers Gesellschaftshaus in Altona war eine große Gaststätte mit Festsaal in der Nähe der Reeperbahn (Große Roosenstraße 2, heute Paul-Roosen-Straße). Vermutlich wurde hier während des Krieges für Soldaten oder Offiziere gekocht. Die nahe liegende Viktoria-Kaserne beherbergte eine Garnison der Infanterie.  

„Weltreise auf deutsche Art“

So nannte der Schriftsteller Alfred Andersch die deutsche Methode, durch Kriegszüge die Welt kennenzulernen. Für Willy Kroymann2, Cousin der Wilstermann-Schwestern aus Schuby, begann diese „Weltreise“ in Altenwerder bei Hamburg. 

Badefreuen in Hamburg Altenwerder
Willy Kroymann genießt das schöne Badeleben (8.8.1915)

Am 8. August 1915 schreibt er an Magda: „Liebes Cousinchen! Von dem schönen Badeleben sendet euch allen die schönsten Grüße euer Vetter und Neffe Willy. O Deutschland, wie bist du schön! Was meint ihr dazu? Ganz nett, nicht wahr?“

Willy Kroymann war in Hamburg vermutlich zur Ausbildung bei einer Ballonabwehr-Batterie. Diese Einheiten sollten Fesselballons oder Militär-Zeppeline abschießen. Später hießen sie Flak-Gruppen (Abkürzung von Flugabwehrkanone)3.

Deutscher Soldatenfriedhof Laon 1. Weltkrieg
Postkarte Soldatenfriedhof Laon, Willy Kroymann an Familie Wilsterman, 27.5.1916

Er ist dann 1916/17 in Nordfrankreich als Gefreiter bei der Flak-Gruppe in Laon. Dort befand sich seit 1914 der Sitz der deutschen Militärkommandantur. Die Stadt lag etwas hinter der Front. Im Mai 1916 schickt er eine Karte mit dem Foto des deutschen Soldatenfriedhofs in Laon. Dazu schreibt er: Haben schönes Wetter hier, die Erdbeeren sind schon schön rot und die Rosen blühen schon und dabei ist immer noch Krieg, aber hoffentlich kommen wir bald heim.“

Willy Kroymann, 1915
Schon 1915 schickte Willy Kroymann dieses Foto von sich und kommentiert:  „Die Backen sind etwas dünner geworden. Macht aber nichts, werden leicht  wieder dicker. Sind lustig und fidel." 

Bis Ende 1917 war Willy Kroymann in Frankreich. Im Herbst des Jahres geht er noch sicher davon aus, dass die besetzten Regionen dauerhaft in deutscher Hand bleiben. Er schreibt am 12. September 1917: „Wenn ich mal wieder auf Urlaub komme, dann kannst du ja mitkommen nach hier, reisen kostet ja doch für uns nichts, und zu sehen gibt es in Frankreich und Belgien viel…“

Und am 5. Oktober: „Ich will dir gern deine Bitte erfüllen, aber hier in Laon gibt es keine Schuhe mehr, da muss ich nach Belgien fahren, nach Brüssel oder Antwerpen, aber ich komme da auch öfters hin.“

Einen Monat später ist er immer noch hinter den Schuhen her: „Ich habe an Onkel Heinrich geschrieben, der ist in Antwerpen, soll sehen, was Schuhe kosten, in Brüssel sind die Schuhe schrecklich teuer geworden: In Brüssel kosten jetzt bessere Damenstiefel (fall jetzt nicht um) 70-100 Mark. Und dann – was ist das für eine Ware!“

Westfront 1. Weltkrieg
Die Karte zeigt die Frontverläufe in Belgien/Frankreich zwischen 1914 und 1918. Eingezeichnet sind die Stationen der Briefpartner Georg Peters, Lud Banzer, Peter Hans und Willy Kroymann (Kartengrundlage: picture-alliance).

„... es scheint ja noch kein Schluss zu werden ...“

Willy Kroymann schreibt aus dem Krieg wie von einer Urlaubsreise. Vermutlich hatte er einen relativ „lockeren“ Posten in Laon. Auch der nächste Briefpartner, Georg Peters, genießt zunächst die Besatzerfreuden in Belgien, als er aber den Alltag an der Front erleben muss, wird er den Krieg bald leid.
Georg Peters

Georg Peters

Georg Peters4 kam sicher aus der Umgebung, möglicherweise aus Witzwort. Es findet sich aber kein G. Peters auf der Tafel mit den Witzworter Weltkriegsteilnehmern. Er allein hat 23 Postkarten an Magda geschrieben. Anhand der Karten lässt sich sein Weg im Krieg nachzeichnen.

Von November 1915 bis März 1916 war er zur Ausbildung in Husum, zwischendurch im Lockstedter Lager. Er war Musketier – das war der einfachste Dienstgrad bei der Infanterie. Im Februar 1916 schreibt er:

„Liebe Magda! Einen schönen Gruß aus Husum sendet dir dein Freund Georg Peters. Den Sonntag abend noch eben früh genug, hab also fix laufen müssen. Denn er war schon in Harblek, als ich eben aus Witzwort raus war. Das tue ich aber nicht wieder und sitz da solange bei euch. Sonst gehts gut, hoffentlich dir auch. Nochmals herzliche Grüße, dein Georg Peters.“

Von November 1915 bis zum Sommer 1916 ist er in Belgien. Als Reserve, also nicht im Kampfeinsatz.

 Postkarte Brügge

Postkarte von Georg Peters aus Brügge (Bruges), 24.4.1916

„Brügge, 24. April 1916
Liebe Magda! Einen schönen Gruß aus Brügge sendet dir dein Freund Georg Peters. Wir sitzen hier schön beisammen bei einem kühlen Glas Bier. Hier in Belgien gibts aber schöne Mädels. Wir sind Donnerstag abend hier in Brügge eingetroffen. Martin und Schütt sind leider nicht mitgekommen. Hier in Brügge ist es soweit ganz schön. Na dann auf Wiedersehen und herzliche Grüße
dein Georg Peters“

Zu Beginn des nächsten Jahres ist er dann im Fronteinsatz.

Georg Peters bei seiner Einheit
Georg Peters schickt am 31.5.1916 aus Comines (Frankreich) dieses Gruppenfoto. Steht er in der 3. Reihe von unten als 5. von links?

„Geschrieben, den 3.1.1917
Liebe Magda! Dein liebes Paket habe ich soeben erhalten und spreche hiermit meinen allerbesten Dank aus. Habe die schönen Kuchen gleich mal probiert. Schmecken ja vorzüglich und auch die Zigaretten freue ich mich sehr zu. du weißt wohl, dass ich gerne Zigaretten rauche, und dass ich ein Freund von Kuchen bin. (...) Weihnachten haben wir dies Jahr auch nicht viel gut von gehabt, haben es vorn im Graben gefeiert. Und da ist es ja so furchtbar dreckig, sodass man es eine Weihnacht gar nicht nennen konnte. Darum wollen wir aber den Mut nicht sinken lassen, hoffentlich wird doch in diesem Jahr der Friede sich einstellen. Wie hast du deine Weihnachten verlebt? Hast du schwer Besuch gehabt von all den schönen jungen Mädchen in Witzwort oder werden die auch weniger?

Den 6. morgens gehen wir wieder in Stellung, immer wieder in den Dreck rin – na mir ist es auch schon so zuwider mit dem Krieg, aber es scheint ja noch kein Schluss zu werden, denn sämtliche Mächte haben das Friedensangebot ja abgelehnt. Sonst nichts neues. Nochmals besten Dank und viele herzliche Grüße dein Freund Georg Peters“

abgeschossenes britisches Flugzeug, 1. Weltkrieg
Deutsche Soldaten mit abgeschossenem britischen Flugzeug

11.5.1917
„Liebe Magda! Deine liebe Karte soeben erhalten wofür meinen allerbesten Dank. Aus Belgien sind wir fort gekommen. Wir sind jetzt in Frankreich in der Nähe von Arras. Bei Arras geht es jetzt furchtbar her, wann wir da auch mal reinkommen, weiß ich nicht. Wir liegen augenblicklich in einer ziemlich ruhigen Stellung links von Arras. Hier ist das Gebiet wo unsere zurück gegangen sind. Wir liegen hier in tiefen Stollen. Hier ist immer tadelloses Wetter, furchtbar warm und fruchtbar. Wir liegen hier vor einem ganz kaputt geschossenen Dorf. Hier sind furchtbar viele schöne Gärten und die Obstbäume stehen in voller Blüte. Wir haben wieder allerhand Märsche zurück gelegt. Wahrscheinlich komme ich bald mal auf Urlaub.

Sonst nicht neues liebe Magda. Bin sonst gesund und munter und hoffe dasselbe auch von dir. Viele herzliche Grüße von deinem Freund Georg. Lege dir noch ein Bild mit bei, von einem abgeschossenen englischen Flieger der in der Nähe von uns runter kam.“



Georg Peters sendet dieses Foto aus dem Lazarett. Ist er der vorne links Sitzende?

Im August 1917 schreibt er aus einem Lazarett. Entweder ist er selbst verwundet oder er arbeitet dort. Die letzte Karte kommt im Januar 1918 aus dem Bayerischen Kriegslazarett in Belgien5. Sein weiteres Schicksal ist unklar.

Lud Banzer6 war ebenfalls an der Westfront. Er schreibt im Januar 1916 an Magda: „Sehr geehrtes Fräulein, recht herzlichen Dank für den guten Tabak und Zigarren, ich bin wirklich kein Nichtraucher sondern rauche ganz gerne. Weihnachten hatte ich leider nicht das Glück bei meinen Eltern zu sein, nun – vielleicht nächstes Jahr. Leider liege ich nun im Lazarett, ich bin am 13. des Monats verschüttet gewesen, habe aber noch Glück dabei gehabt, ich habe mir nur die Wirbelsäule verstaucht und den rechten Arm ausgerenkt. Hoffe, in drei bis vier Wochen wieder gesund zu sein. Nun hoffentlich ist die Sache bald zu Ende, denn ich bin seit dem 5. August 1914 im Feld, da kann es mir keiner verdenken, wenn ich diesen Wunsch hege. Nun seien Sie bestens gegrüßt von Ihrem dankbaren Lud Banzer.“

Im Februar 1916 schreibt er nochmal aus dem Lazarett. Er berichtet, dass es ihm besser geht und er bald in ein Heimatlazarett kommt. Diesem Brief legt er ein Foto bei:

Explosionsunglück Lille 12. Januar 1916
Explosionsunglück Lille 12. Januar 1916

„Anbei sende ich Ihnen eine Ansicht von dem großen Explosionsunglück in Lille in der Nacht vom 11. zum 12. Januar. Der Pfeil deutet den Sprengtrichter an, er ist 50 Meter tief und 165 Meter im Durchmesser.“

Was war passiert? Nachts um halb vier wird die nordfranzösische Stadt Lille durch eine heftige Explosion erschüttert, die man bis in die Niederlande hört. Ein großer orangefarbener Lichtstrahl erleuchtet den Himmel. Das Munitionslager der Bastion „18 (dixhuit) Ponts“ ist in die Luft geflogen. In dieser alten Befestigungsanlage mit ihren 18 Bögen hatten die Deutschen große Mengen an Sprengstoff und Munition gelagert. Die Explosion – zweifellos ein Unfall – riss einen riesigen Krater. 21 Fabriken und 738 Häuser im Viertel Moulins wurden dem Erdboden gleich gemacht. Man fand 134 Tote, davon 104 Zivilisten und 30 deutsche Soldaten sowie über 400 Verletzte.
Lille war von 1914 bis 1918 von den Deutschen besetzt. Sie  zwangen u.a. 10.000 Bewohner von Lille, zum Großteil junge Frauen, zur Arbeit auf Bauernhöfen im Umland.7

Grausamer Kriegsalltag

P. Hans Soldatengruppe vor Unterstand mit Madonna (Brief vom 28.9.1915)

P. Hans (Ausschnitt aus der Tafel Witzworter Weltkriegsteilnehmer), Soldatengruppe vor Unterstand mit Madonna (Brief vom 28.9.1915)

Peter Hans8 war vermutlich ein Witzworter. Es gibt ein Foto von P. Hans auf der Tafel mit den Witzworter Weltkriegsteilnehmern. Seit Januar 1915 ist er am Feldzug gegen Frankreich beteiligt. Am 13.6.1915 schreibt er aus Carlepont in Nordfrankreich:

„Liebe Freundin!
Einen schönen Gruß sendet dir sowie Schwester und Eltern Peter Hans. Der Feind hat hier bei unserer Division 5 mal angegriffen. 5 mal hat unsere Infanterie zurückgehen müssen. Jetzt sind hier viele Truppen und wir werden in den nächsten Tagen vorgehen. Am meisten hat das aktive Regiment 86 gelitten. Es sind hier hauptsächlich Engländer und Zuaven. Unseren Verwundeten sollen sie alle die Kehle abgeschnitten haben. Nachher habe unsere wieder 200-300 Gefangene gemacht, davon soll keiner abgeliefert worden sein.

In unserer Batterie hatten wir 10 Mann Verluste. 7.,8.,9. Juni waren grade nicht schön! Was die nächsten Tage uns bringen? Hoffe, dass es nicht schlimmer wird.

Unsere Wirtin hat 2 Söhne im Feld und dennoch ist sie sehr liebenswürdig. Sie jammert immer, wenn doch der Krieg zu Ende wäre! Das möchten wir auch, aber nicht eher, als bis wir alle Feinde geschlagen haben!
Mit herzlichem Gruß dein Freund Peter Hans
Auf Wiedersehn!“
Deutsche Propagandapostkarte mit flüchtenden französischen Soldaten, 1. Weltkrieg

Diese Propagandapostkarte schrieb Vetter Otto Kroymann am 18.1.1916. Rechts vorn sind Zuaven in ihrer besonderen Uniform dargestellt.

Zuaven hießen die französischen Soldaten, die aus den Kolonien kamen. Es waren Marokkaner, Algerier, Senegalesen und andere Nordafrikaner. Die Zuaven trugen auffällige, an türkisch-orientalische Trachten angelehnte Uniformen. Sie galten als besonders tapfer oder grausam, je nach dem, ob von Freund oder Feind beurteilt. Für einen Witzworter der damaligen Zeit war es bestimmt etwas Besonderes, Menschen mit dunkler Hautfarbe gegenüberzustehen.

Was Peter Hans über die Kämpfe vom 7.-9. Juni schreibt, kann durch eine Internetrecherche leicht bestätigt werden. Eine französische Website beschreibt für diese Tage einen Überraschungsangriff der französischen Armee auf eine vorspringende deutsche Stellung. Man zählte 246 Gefangene des deutschen 86. Regiments und 200 Mann eigene Verluste9.

Propagandapostkarte aus dem 1. Weltkrieg: Das zerstörte Dorf Donchery in den Ardennen.
Die Postkarte zeigt das von den Deutschen 1914 zerstörte Ardennendorf Donchery

Nach einem Urlaub zuhause schreibt er am 22.6.1916 wieder aus Frankreich: „Bin gut angelangt, aber zu der Gewissheit gekommen, dass es im Krieg doch nicht so schön ist wie in der Heimat. (…) Wie gefällt dir die Ansicht?“

Die Ansichtskarte zeigt das zerstörte Dorf Donchery. Wie viele andere Dörfer in den Ardennen war es 1914 beim deutschen Vormarsch komplett niedergebrannt worden. Die Bevölkerung wurde tyrannisiert, z.B. durch Scheinerschießungen.10

Nachrichten aus der Kriegsgefangenschaft

Drei Soldaten namens H. Peters
Drei Witzworter Weltkriegsteilnehmer, die H. Peters hießen. Ist die Person rechts der Briefschreiber?

Auch Heinrich Peters war vermutlich ein Witzworter. Zwei der gefallenen Weltkriegsteilnehmer können es nicht sein. Denn sie sind bereits 1915 gestorben. Aber es gibt einen überlebenden H. Peters auf der Tafel. Das könnte der Eisenbahner Heinrich Peters gewesen sein: geb. 19.11.1891, gestorben 13.5.1944 – aber offensichtlich nicht im 2. Weltkrieg, weil sein Name nicht auf dem Ehrenmal steht. Heinrich Peters schreibt im Februar 1915 aus Russland: „Liebe Magda. Wie ich gestern von der Wache kam, empfing mich gleich das schöne Wort „Paket empfangen“. Als ich wohl las, dass du die Absenderin warst, hat es mich richtig gefreut. Man kann daraus sehen, dass man doch nicht von euch vergessen wird.

Für das schöne Paket bedank ich mich recht herzlich. Sollte ich lebend zurück kommen, werde ich mich persönlich bei euch bedanken. Wenn man so einsam in Feindesland auf Wache steht, so sind doch die Gedanken in der Heimat. Wie freut man sich, wenn man mal was von euch hört. Aber wie schrecklich, wenn man hört, dass so viele junge Leute gefallen sind. Ist dein Vater auch eingezogen? Grüße bitte deine Eltern und deine Schwester. Es grüßt recht herzlich, und nochmal besten Dank für das schöne Paket, verbleibt Heinrich Peters.“

Postkarte von Heinrich Peters aus russischer Kriegsgefangenschaft, 1. Weltkrieg
Feldpostkarte von Heinrich Peters aus russischer Kriegsgefangenschaft. Absender: Gub Ekatarinaslanske Schacht Alexandra, Ruszland

Eine zweite Karte sendet er im September 1916 aus russischer Kriegsgefangenschaft: „Liebe Magda! Meine Karten aus Sibirien wirst du wohl erhalten haben. Wie ich dir jetzt mitteile, bin ich in Warwarapol in der Nähe von Kiew in einem Schacht beschäftigt11. Ganz oft denke ich an euch, wie es euch wohl geht und ob Ihr nicht soviel von dem Kriege spürt.

Liebe Magda, hoffentlich habe ich mich für das schöne Paket, welches du mir 1914 geschickt hast, bedankt. Sollte es nicht der Fall gewesen sein, so bedanke ich mich jetzt noch nachträglich. Was ich von meiner Gesundheit berichten kann, bin ich immer noch mobil. Hoffe dasselbe auch von dir. In der Hoffnung bald eine Karte von dir zu bekommen verbleibt dein Heinrich.“

Selbstbewusste Marine

Die Schwestern Wilstermann hatten auch mit mehreren Marinesoldaten Briefkontakt: Postkarten und Briefe kamen von den Schiffen SMS (Seiner Majestät Schiff) Derfflinger, SMS Stettin und SMS Roon. Auf der SMS Roon befanden sich der Onkel Otto Kroymann und weitere. Vermutlich hatte der Onkel den Briefkontakt zu (jüngeren) Mitsoldaten hergestellt.

Gustav Schramm11 schreibt am 6.7.1915 an die Schwestern: „Sehr geehrte Fräulein! Wie Sie wohl erfahren haben, waren wir im Gefecht, wobei wir selbst gut abschnitten bis auf die „Albatros“. Mit uns werden sie es so leicht nicht mehr aufnehmen. Elf Monate hat man nun darauf gewartet, nun endlich war es uns vergönnt mit dem Feind zu kämpfen“.

Libau Hafen, Feldpostkarte 1. Wetkrieg
Diese Postkarte sendete der Onkel Otto Kroymann den Schwestern am 13.7.1915 von der SMS Roon

Die SMS Roon war ein Panzerkreuzer der Kaiserlichen Marine, 1906 in Dienst gestellt. Ab April 1915 war er in der Ostsee im Einsatz, weil er für die Nordsee zu schwerfällig war. Am 11. Mai wurde das Schiff auf dem Weg nach Libau12 – das zuvor von den Deutschen erobert worden war – von einem britischen U-Boot verfolgt, aber nicht getroffen. 2. Juli 1915 war die SMS Roon an einem Gefecht mit russischen Kreuzern vor der schwedischen Küste beteiligt. Bei einem Angriff von drei russischen Kreuzern und zwei leichten Kreuzern wird der Minenleger Albatros stark beschädigt und muss sich in neutrale schwedische Gewässer zurückziehen. Auch die SMS Roon wird mehrfach getroffen. Die deutschen Schiffe müssen sich zurückziehen13.

Zur Kaiserlichen Marine gehörten damals auch die Luftschiffe/Zeppeline. Einer der größten Luftschiffhäfen war in Tonder/Tondern, das damals zum Deutschen Reich gehörte. Zur Verteidigung der Anlage waren hier neun kleine Flugzeuge stationiert – die Hallenschutzstation. Von einem Soldaten, der hier seinen Dienst tat, erhielt M. Wilstermann (vermutlich Magda) einen Brief:

„Tondern, 7.1.1918
Sehr geehrtes Fräulein!
Da Sie gewiss den Absender dieses nicht zu kennen glauben, will ich mich hiermit bekannt machen. Sie werden gewiss noch an die Montöre denken, welche vor einigen Tagen in Witzwort waren, und das Flugzeug abmontirten. Welche dann auch eines Abends mit Ihnen sowie Fr. Schwester Karte spielten.

Ich komme nun mit einer Bitte zu Ihnen. Da ich oft einmal nach Kiel komme, so wollte ich das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden, nämlich wenn von der betreffenden Seite nichts dagegen eingewendet wird, mit Ihrem Fr. Schwester ein wenig zu po- plaudern. Da ich jedoch nicht die genaue Adresse weiss, bitte ich Sie hiermit höflichst, dieselbe mitzuteilen. In der Hoffnung, dass Sie meinen Wunsch erfüllen, grüsst Sie, sowie Ihre verehrte Mutter herzlichst P. Ziegenbalg, Flugmech. Obergast der Hallenschutzstation Tondern.“

Schreiben C. Ziegenbalg, Januar 1918

Schreiben C. Ziegenbalg, Januar 1918

Obergast entspricht dem Obermatrosen. Den Verschreiber „po- plaudern“ könnte man vielleicht mit „poussieren“ übersetzen, das der Etikette wegen nicht ausgeschrieben wurde. An ein abgestürztes Flugzeug im 1. Weltkrieg gibt es in Witzwort keine dörfliche Erinnerung.


Ein kurzes Leben

Johannes Bove

J. Bove

Zum Schluss soll hier das Schicksal des Witzworters Johannes Bove14 dargestellt werden. Dieser Briefpartner von Magda war dreieinhalb Jahre älter als sie. Johannes Bove war das 10. Kind von Lorenz und Amalie Bove, Westerdeich 6. Geboren am 27. August 1895, zog er mit 19 Jahren in den Krieg.

1915 schreibt er noch aus Husum: „Liebe Magda, sind Dienstag in die Kompagnie gekommen, liegen in der Zentralhalle, können unsere Sachen hier gar nicht unterbringen. Liegt alles durcheinander. Der Dienst ist nicht so schlimm in der Kompagnie. Das ist ja erstmal die Hauptsache.

Liebe Magda, wenn du mal bei uns längs kommst, dann gehe man vor und hole dir ein Bild, wo ich alleine auf bin. Ich habe Schwester Dora es geschrieben, sie sollte dir eins geben, denn du und deine Schwester haben mein Bild ja schon lange gewünscht. Grüße Schwester in Abwesenheit, Mutter und Gäste. Sage zu Großvater er könnte mich ja gut ablösen. Schreib mal wieder. Grüßend Joh. Frie.

Ein paar Tage vor seinem 20. Geburtstag meldet er sich am 23. August 1915 aus Russland:
„Liebe Magda, bin noch nicht an der Front. Wir marschieren hier immer hin und her durch die furchtbar dreckigen Wege. Es sieht hier nicht schön aus, das kannst du dir wohl denken. Was macht ihr denn in Witzwort, es ist gewiss alles ruhig da, die jungen Leute sind ja fast alle weg. Es muss sich ja alles helfen, kommt wohl mal eine bessere Zeit wieder. Sie machen hier ja furchtbare Fortschritte in Russland, man sollte ja bald annehmen, dass der Krieg bald alle wäre. Mit herzlichem Gruß und auf Wiedersehen schreibt Johannes.

Johannes Bove war Musketier – also einfacher Soldat – bei der 20. Infanterie-Division. Diese Division war vom April bis September 1915 am Angriffskrieg in Russland beteiligt. Dann wurde sie nach Frankreich verlegt.

Westfront 1915
Westfront 1915

Dort mussten die Soldaten in der Champagne kämpfen. Eine wichtige Schlacht fand zwischen dem 25. September und dem 6. November 1915 statt. Am 30. September löste die „frischere“ 20. Division eine andere, erschöpfte Einheit ab. An diesem 1. Tag des Einsatzes in Frankreich starb Johannes Bove. Seinen 20. Geburtstag hat er nur um gut einen Monat überlebt.

Allein in dieser Schlacht, der sog. Herbstschlacht in der Champagne, starben 145.000 französische Soldaten und 55.000 deutsche.

auszug totenliste j. bove

Auszug aus der Totenliste des deutschen Heers mit der Notiz zum Tod von Johannes Bove.
Quelle: http://des.genealogy.net/search/show/3407809

Oesau, Häuserliste, Westerdeich 6, Bove
Auch der Witzworter Chronist Ludwig Oesau erwähnt Johannes Bove (hier fälschlich Bowe) und seinen Tod bei Somme-Py bei seinem Eintrag zum Haus Westerdeich 6.

Die Witzworter Bilanz

127 Soldaten zogen aus dem Dorf in den 1. Weltkrieg. Von ihnen starben 33, die anderen 94 überlebten. Und zwanzig Jahre später verloren im 2. Weltkrieg nochmals 55 Witzworter als Soldaten ihr Leben.

Diese Erinnerungstafel mit allen Witzworter Teilnehmern am 1. Weltkrieg befindet sich im Archiv.


Der Bestand Schwestern Wilstermann im Witzworter Archiv

Die Unterlagen wurden uns von der Familie Rathje, die heute noch den Wilstermannschen Gasthof in der Dorfstraße betreibt, übergeben. Es war ein großer Karton voll: mehrere Fotoalben, Briefsammlungen, Dokumente und die Poesiealben der Schwestern. Die Briefe und Postkarten umfassen den Zeitraum 1890 bis 1950, neben der Sammlung aus dem ersten Weltkrieg vor allem Briefe von Emma Wilstermann, der Mutter von Grete und Magda) aus dem Zeitraum vor der Jahrhundertwende. 

Briefe und Fotos hatten z.T. etwas gelitten, kein Wunder, sie lagerten ja auch jahrelang auf dem Speicher. So gab es Mäuesbisse und Schimmelspuren, aber insgesamt ist alles noch sehr gut erhalten. Nachdem die gammelnden Umschläge der Fotoalben entsorgt sind, und Briefe und Postkarten sortiert und trocken gelagert sind, wird sich alles sicherlich weitere 100 Jahre halten.

Ein großes Dankeschön an die Familie Rathje fürs Aufheben!


Die Fotoalben der Schwestern Wilstermann

Die Fotoalben der Schwestern Wilstermann

Anmerkungen

Internetabfragen am 28.2.2018.
1   http://www.geschichte-s-h.de/lockstedter-lager 
2   Gefreiter, Flak-Gruppe Laon
3   wikipedia
4   Musketier, 1. Rekruten Depot II. Ers. Batt. Reg. 84, 11. Korporalsdivision
5   Boussu, Hainaut, en 1914-1918 occupation allemande en 1940-1945 occupation allemande. http://www.boussu.be/ma-commune/historique
6   Vizefeldwebel(?), 10. Armeekorps, 24. Infanterie-Division, M.W. Kompanie 24, II. Zug
7   http://www.wegedererinnerung-nordfrankreich.com/die-wege/der-bewegungskrieg-und-die-erste-zeit-unter-deutscher-besatzung/lille-denkmal-fuer-die-opfer-der-explosion-des-munitionlagers-in-der-bastion-18-ponts.html
8   9. Armee-Korps, 18. Div., Fuß-Artillerie-Regiment 20, I. Batl. 1. L.M.Kolonne, http://genwiki.genealogy.net/IX._Armeekorps_(Alte_Armee)
9   http://www.patrimoinedelagrandeguerre.com/sections/section-oise/1-oise-bataille-titre.html
10  Philippe Nivet, La France occupée 1914-1918, Paris, Armand Colin, 2011, S. 187
11 Ob. Stabsgefreiter, Marine
12  Liepāja in Lettland
13  https://de.wikipedia.org/wiki/SMS_Roon, https://en.wikipedia.org/wiki/SMS_Roon
14  Musketier, 10. Armeekorps, 20. Infanterie-Division, Reg. Nr. 92, 2. Bat., 7. Kompanie

Bildnachweis:

Grafik Statistik: Angela Jansen
Karte Alliierte Durchbruchsangriffe: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Alliierte_Angriffe_1915.jpg
Alle weiteren Bilder stammen aus dem Dorfarchiv Witzwort.

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