Harburger im Spanischen Bürgerkrieg

1936/37 machten sich 13 Harburger Antifaschisten auf die Reise

Text: Christian Gotthardt
Veröffentlicht im Februar 2017

(1) Die "Beobachter" der Flakstellung Dimitroff Anfang 1937 bei der Ausbildung am Feldtelefon, darunter der Wilstorfer Gustav Martens (ohne Mütze mit der Hand am Kinn)

Spanien, über Jahrhunderte eine ultrakatholische Monarchie, wählte sich 1931 eine demokratische Regierung und wurde Republik. Die republikanische Bewegung entwickelte sich zur Volksfront weiter und trug bei erneuten Wahlen im Februar 1936 wiederum den Sieg davon. Im Juli 1936 putschte das Militär für die Wiedererrichtung der alten Ordnung – es scheiterte in den Städten, gewann aber im Nordwesten die Kontrolle über die Landgebiete. Im Süden landeten Kolonialtruppen unter General Franco, um den Putsch zu unterstützen. Die faschistischen Regierungen Deutschlands und Italiens sendeten Waffen und Truppen. Auf republikanischer Seite meldeten sich ab Herbst 1936 tausende Antifaschisten aus der ganzen Welt für den Kampfeinsatz in Internationalen Brigaden.

 

Kräfteverhältnis und Kriegsverlauf

(2) Truppenstärken und Truppengattungen im Vergleich 

Das Diagramm zeigt das Kräfteverhältnis zwischen den Kriegsparteien in Spanien im Hinblick auf die einzelnen Truppengattungen. Hier wird zum einen deutlich, dass die Internationalen Brigaden weit mehr waren als ein symbolischer Solidaritätsakt der demokratischen und sozialistischen Bewegungen. Sie bedeuteten vielmehr eine starke und notwendige Kompensation der deutschen und italienischen Kontingente auf der Seite der Putschisten. Dass diese Kompensation zum Sieg letztlich nicht hinreichte, lag an der massiven materiellen Überlegenheit der putschistischen Bewaffnung (Nachschub im Allgemeinen, im Besonderen die Einsätze der deutschen und italienischen Luftwaffe). Dem etwas entgegenzusetzen, war die Sowjetunion verhindert, durch den Mangel an entsprechenden Ressourcen ebenso wie durch die Blockade der spanischen Küsten durch England und Frankreich und die starke Bombardierung der Nachschublinien auf dem Mittelmeer.

So stellte sich der Kampf gegen die Putschisten bald als Abwehrkampf dar, der von einem kontinuierlich schrumpfenden republikanischen Territorium aus erfolgen musste. Als dieses im Laufe des Frühjahrs 1938 dann durch den Vormarsch der Putschisten auch noch in zwei Teile zerfiel, konnte nur noch der geordnete Rückzug das Ziel sein.

(3) Die Republik schrumpft bis zur Niederlage im Februar 1939

 

Nun zum Harburg-Aspekt: Dass Harburger in Spanien waren, wurde schon in der ersten Ausgabe von „die anderen“ in den 1980er Jahren beschrieben. Damals waren jedoch noch nicht alle Teilnehmer bekannt, und auch nicht viel von dem, was sie dort (und danach) erlebten. Mit dem Erinnerungsalbum und den Briefen Gustav Martens' und den heute zumeist zugänglichen Wiedergutmachungsakten sind wir jetzt ein gutes Stück weiter. Nachfolgend soll der derzeitige Kenntnisstand kurz skizziert werden.

 

Die Personen

Alfons Teschke, geb. am 9.2.1898 in Krone/ Posen, war der erste Harburger im Spanischen Bürgerkrieg. Er arbeitete 1927 bis 1931 bei Hobum, dann bis 1933 als Betriebstechniker bei Karstadt. Hier war er kommunistischer Betriebsrat. Ihm oblag außerdem die Leitung der Harburger Roten Hilfe, der Unterstützungsorganisation für linke Gefangene und ihre Familien. Von Februar bis Mai 1933 nahmen ihn die Nazis in Schutzhaft. Im Januar 1934 entzog er sich weiteren Verfolgungen und gelangte über Westfalen und das Saargebiet nach Frankreich. Im August 1936 ging er von Südfrankreich aus nach Spanien.

Hier schloss er sich mit einigen anderen deutschen Emigranten der 22. Katalanischen Division an und zog an die Aragon-Front. Alfons Teschke starb während der Kämpfe dort, über das Wann und Wo existieren nur Vermutungen. Seine Frau Marie berichtete 1948, irgendwann Ende der 1930er Jahre habe sie ein Mann in Harburg besucht, mit einem Foto ihres Mannes und einem Abschiedsbrief für den gemeinsamen Sohn Alfons, damals etwa 17 Jahre alt. In diesem Brief, den der Vater offensichtlich vorsorglich geschrieben und verwahrt hatte, schilderte er die Motive seiner Flucht und bat den Sohn um Verständnis. Sie hatte in Erinnerung behalten, der Mann habe gesagt, Teschke sei 1936 in Kämpfen bei Tardienta gefallen, was auf den Herbst jenes Jahres deuten würde. Im Erinnerungsbuch von Hans Maaßen berichtete ein Interbrigadist, er habe mit Alfons Teschke an Kämpfen in Tardienta und Perdiguera teilgenommen, was dazu passt.[1]

 

Über den Harburger Spanienkämpfer Friedrich Buss, geboren am 10.9.1907, ist wenig bekannt. Vor allem hat er in Harburg kaum Spuren hinterlassen, wir wissen nur, dass er hier als Dreher arbeitete und Anfang der 1930er Jahre in der Neuen Straße 25 a wohnte. Abel vermerkt, er sei mit den Eltern 1911 aus Russland eingewandert, daher in Deutschland staatenlos gewesen und aus diesem Grund 1934 ausgewiesen worden. 1924 sei er dem Kommunistischen Jugendverband (KJVD), 1925 der KPD und dem Rotfrontkämpferbund (RFB) beigetreten.

Nach Abel die weiteren Stationen: 1934 Aufenthalt im Saargebiet, nach dessen Anschluss an Deutschland 1935 nach Frankreich. Seit Oktober 1936 in Spanien, bei der Verteidigung Madrids schwer verwundet. Anschließend diente er als Sargento (= Feldwebel) im Hans Beimler-Bataillon der XI. Brigade. 1938 Mitglied der spanischen kommunistischen Partei. 1939 in den Internierungslagern St. Cyprien, Argeles sur Mer, Gurs, Lepoy. Nach 1940 Resistance, seit August 1945 wieder in Hamburg. In den 1950er Jahren ist ein Arbeiter Friedrich Buss in der Altonaer Holtenaustraße nachweisbar, ob es sich um die selbe Person handelt, bleibt unklar. Eine Wiedergutmachungsakte oder ein Einbürgerungsantrag von Fritz Buss ist im Hamburger Staatsarchiv nicht überliefert.[2]

(4) Für die meisten deutschen Interbrigadisten der erste Anlaufpunkt: Die Truppenzuteilung in der Kaserne von Albacete

 

Ernst Schmahl, geboren am 8.2.1907 in Wilhelmsburg, kam im Dezember 1936 nach Spanien. Schiffsheizer und parteilos, kam er vermutlich auf eigene Faust. Vielleicht hatte er in der Nähe abgemustert. Er war zunächst in der XIII. Brigade, seit August 1937 dann Sargento im Bataillon „12. Februar“ der XI. Brigade. Im Dezember kam er von einem Demobilisierungslager in der Nähe Barcelonas nach den französischen Internierungslagern St. Cyprien und Gurs, nach einer Flucht dann ins Haftlager Le Vernet und in Arbeitskommandos. Beim Vormarsch der deutschen Besatzer in Frankreich geriet er 1941 in Gestapohaft, wurde nach Hamburg transportiert, kam aber wegen umfangreicher Aussagen über andere deutsche Spanienkämpfer am 30.7.1941 frei und wurde zur deutschen Marine eingezogen. Im Frühjahr 1945 ist er bei Flüchtlingstransporten auf der Ostsee verschollen.[3]

 

Paul Brüggemann, geb. am 25.6.1912 in Harburg, war ein guter Freund von Gustav Martens (s.u.) und entstammte wie dieser einem sozialdemokratischen Elternhaus. Er machte nach der Volksschule keine Lehre, sondern arbeitete sogleich als Ungelernter bei der Phoenix. Gemeinsam mit Martens ging er 1933 den Weg von der SAJ zur Fusion mit den Kommunisten. Als im Sommer 1934 immer mehr Mitstreiter des neuen Organisationsaufbaus in Haft gerieten, flüchtete er nach Kopenhagen. Die Gestapo notierte damals in ihren Fahndungsunterlagen, er beteilige sich im Auftrage der Internationalen Roten Hilfe am Aufbau einer Basisgruppe im dänischen Haderslev für die Agitation in den Hamburger Raum.

Anfang August 1935 reiste er illegal in Schweden ein. Als politischer Flüchtling erhielt er hier im April 1936 einen Fremdenpass. Im Dezember 1936 meldete er sich bei der Fremdenpolizei nach Spanien ab. Er kam noch im gleichen Monat dort an und trat zunächst in die XIV. Brigade ein. Seine ersten Einsatzorte waren die Südfront, die Zentralfront und die Jarama-Schlacht. Im April 1937 wechselte er zum Thälmann-Bataillon der XI. Brigade in den Sanitätsdienst, als Gruppenführer im Rang eines Sargento. Die nächsten Kampfplätze waren Belchite, Teruel und der Ebro. Im Dezember 1938 kehrte er direkt nach Schweden zurück. Im Juni 1939 erhielt er eine Arbeitserlaubnis und wohnte und arbeitete seitdem als Meiereiarbeiter in Stockholm. Er heiratete, das Paar bekam drei Kinder. Wie Gustav Martens und Heinrich Coerber vertrat er seine Wiedergutmachungsansprüche von Schweden aus und hatte keinerlei Interesse, nach Deutschland zurückzukehren.[4]

(5) Paul Brüggemann, rechts stehend, in Spanien

 

Stanislaus Switalla, geb. am 6.10.1896 in Koschmin/ Posen, Hafenarbeiter, nach 1918 erst Syndikalist in der Allgemeinen Arbeiter Union (AAU), dann USPD/ KPD, Teilnehmer des Hamburger Aufstands 1923 und erster hauptamtlicher Unterbezirkssekretär in Harburg von Anfang 1928 bis Anfang 1931, war ebenfalls einer der ersten, die nach Spanien gingen. Er wurde ab 1932 wegen Mordes gesucht (angebliche Rädelsführerschaft beim „Altonaer Blutsonntag“) und lebte im Untergrund, u.a. drei Monate in einem Erdloch im Kleingarten eines Genossen in Winsen. Noch 1933 Flucht nach Belgien, 1934 Dänemark. Von dort Einsatz im Saargebiet im Rahmen der Volksabstimmung über dessen Anschluss an Deutschland, gemeinsam mit Herbert Wehner und Erich Honecker. 1935 wieder Kopenhagen, im selben Jahr Moskau, 1936 auf Weisung der Komintern nach Spanien.

(6) Stanislaus („Stachu“, „Anton“) Switalla 1896 bis 1970

Switalla wirkte in Spanien nicht nur im Fronteinsatz. Zeitweilig war er Politkommissar an der Militärschule Pozo Rubio bei Albacete. Nach der Niederlage und Demobilisierung der Republikanischen Streitkräfte folgte seine Internierung zunächst in Frankreich, dann bis 1943 im französischen Wüstenlager im nordafrikanischen Djelfa. Bis April 1945 in Moskau Lehrer an einer Antifa-Schule für kriegsgefangene Deutsche, dann führende Funktionen in der Justiz, Polizei und Staatssicherheit der DDR. Switalla starb am 8.4.1970.[5]

 

Der Lebensweg von Gustav Martens, geb. am 10.4.1910 in Welle bei Harburg, aufgewachsen als Adoptivkind von Peter und Margarethe Martens, einem sozialdemokratischen Ehepaar in Harburg, ist uns seit der „Mail aus Göteborg,“, die uns sein Enkel Iwan Martens übersandte, zum Glück bestens bekannt. Dies gilt vor allem für sein Wirken im Spanischen Bürgerkrieg. Es sei hier noch einmal dazu aufgefordert, das von Iwan Martens hervorragend aufbereitete Material im Original anzusehen.[6]

(7) Gustav Martens kurz vor seiner Abfahrt nach Spanien, Januar 1937. Sein Spitzname in der Batteriemannschaft war „Bubi“ 

An dieser Stelle, zur Einordnung seiner Biographie in den Rahmen der hier dargestellten Schicksalsgemeinschaft, seien nur die wesentlichen Eckdaten hervorgehoben: Martens lernte ab 1924 Schlosser im Reichsbahn-Ausbesserungswerk in Harburg und fand 1928 Arbeit auf der Werft von Blohm und Voss in Hamburg. Im Sommer 1929, nach einem Jahr Arbeit – die durch die Weltwirtschaftskrise bedingten Massenentlassungen standen kurz bevor – kündigte er, um auf Wanderschaft zu gehen. Wegen der Krise wurde daraus nicht viel. Auch als er wieder zuhause war, fand er keine feste Arbeit mehr.

Seit April 1926 war er Mitglied der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ), der Jugendorganisation der SPD, seit Frühjahr 1928 in der Funktion des 2. Vorsitzenden und Organisationsverantwortlichen. In jenem Frühjahr trat er auch der SPD bei. 1930/31 sympathisierte er mit der linkssozialistischen SPD-Abspaltung Sozialistische Arbeiterpartei (SAP) und deren Jugendorganisation, kehrte aber um 1932 wieder zur SAJ-Arbeit zurück. Er wurde in dieser Zeit ihr 1. Vorsitzender.

Nach dem Januar 1933 gehörte er zu den vielen Harburger SAJ-Mitgliedern, die aus Enttäuschung über die passive Hinnahme der faschistischen Herrschaft durch die SPD kurzentschlossen mit den Mitgliedern des kommunistischen Jugendverbandes zusammengingen und gemeinsame Widerstandsgruppen bildeten. Im Frühjahr 1934 wurde er von der Gestapo verhört, im Sommer folgte dann eine Hausdurchsuchung und Inhaftierung im Untersuchungsgefängnis Fuhlsbüttel.

Der drohenden gerichtlichen Verfolgung – inzwischen waren weitere Verhaftungen erfolgt und Martens' Tätigkeit aufgedeckt − entzog er sich im Oktober durch eine abenteuerliche Flucht über die Mauern des Gefängnisses. Es gelang ihm mit Unterstützung der Roten Hilfe, das Reichsgebiet im Januar 1935 zu verlassen und direkt in Göteborg, Schweden, einzureisen. Er traf dort noch im selben Monat ein. Seit 1936 arbeitete er in den Götaverken AG (damals die größte Werft der Welt, gemessen in fertiggestellten Bruttoregistertonnen) als Schweißer. Ende Januar 1937 reiste er nach Spanien ab, er traf Anfang Februar in Figueras ein und wurde der Dimitroff-Batterie, einer Flak-Einheit mit großkalibrigem Geschützen, zugeteilt, und zwar als Feindbeobachter in Zuarbeit zur Geschützsteuerung. Die Batterie war keiner Brigade fest zugeordnet, sondern wurde überall dort eingesetzt, wo starke Luftüberlegenheit des Gegners herrschte. Anfang 1939 war Gustav Martens wieder in Schweden. Er bekam gleich wieder Arbeit in den Götaverken, heiratete und wurde Vater einer Tochter. Er starb am 17.9.1977.[7]

(8) Beim Rundstückholen aus dem Staub gemacht: Gustavs Zeichnung seiner Flucht aus Fuhlsbüttel

 

Ebenfalls Anfang 1937 stieß der Harburger Jacob Kock, Vater des später von den Nazis hingerichteten Widerstandskämpfers Karl Kock, zu den Interbrigadisten. Er war am 8.11.1885 in Harburg zur Welt gekommen. Nach ein paar Jahren Seefahrt (daher sein „Piraten“-Spitzname Jolly) und dem Kriegsdienst als Kanonier bei der Marine arbeitete er in den Harburger Großbetrieben Phoenix und Thörl. Schon vor 1914 Gewerkschaftsmitglied, trat er 1924 in die KPD ein. Als kommunistischer Funktionär und als Betriebsrat stadtbekannt, hielt er sich ab Januar 1933 in einem Waldversteck im Harburger Umland verborgen. Über ein Jahr vegetierte er dort, heimlich versorgt von seinen drei Söhnen, die ihn abwechselnd zweimal pro Woche Essen brachten, und mit einer gelegentlichen Waschmöglichkeit bei der Genossin Hertha Nodorf in Fischbeck. Im Juni 1936 hielt er diesen Zustand nicht mehr aus, in einer sehr waghalsigen Aktion schiffte er sich als angeblicher Amerikaner auf einem KdF-Urlaubsschiff ein und floh nach Dänemark. Dort als arbeitsloser Flüchtling zunehmend in prekärer Lage, folgte er einem Parteiauftrag und ging im November 1935 nach Trondheim in Norwegen, wo er sich am Aufbau einer deutschen kommunistischen Exilgruppe beteiligte.

Dort erreichte ihn der Aufruf der Kommunistischen Internationale, den Internationalen Brigaden in Spanien beizutreten. Im Januar 1937 reiste er per Schiff via Esbjerg nach Spanien, im März 1937 traf er am Sammlungsort der Interbrigadisten in Albacete ein. Dort wurde er dem Thälmann-Bataillon der XI. Brigade als Waffenmeister zugeteilt.

(9) Karl Kock (links oben) im März 1937 in Albacete im Kreis Hamburger Brigadisten

 

Einsatzorte der XI. Brigade mit Kock waren die Kämpfe um Guadelajara, der Krieg im Norden (Guernica), Brunete, Belchite, Teruel. Nach dem Ende des Bürgerkrieges im Februar 1939 kam Kock wie viele andere in das Internierungslager Gurs in den französischen Pyrenäen. Von dort floh er im gleichen Frühjahr nach Belgien, wo ihn wiederum Arbeitslosigkeit erwartete. Er versuchte sein Glück ab März 1939 erneut in Norwegen, musste aber schon im Mai 1940 wegen des Deutschen Einmarsches dort ins neutrale Schweden ausweichen. Hier wurde er im Lager Lukabron interniert und musste bis 1944 als Waldarbeiter arbeiten. Von 1944 bis April 1946 fand er Beschäftigung in einer Gummifabrik. Dann kehrte er nach Harburg zurück.

Hier fanden die traumatischen Erlebnisse seit 1933 ihre brutale Fortsetzung. Die Familie bestand nur noch aus seiner Frau Pauline, geb. Grähl, geb. 30.3.1884 in Neuland, und dem Sohn Arnold. Der Sohn Hans war im Krieg an einer Blutvergiftung gestorben, der Sohn Karl wurde im Juni 1944 hingerichtet. Die Familie war zweimal ausgebombt worden, 1944 in der Bremer Straße 165, 1945 im Mühlenfeld 107. Bei der zweiten Ausbombung starben die Frau Karls, Elfriede (geb. 27.3.1912) und ihre gemeinsame Tochter Renate (geb. 7.4.1932). Die überlebenden Kocks wohnten nun Außenmühlenweg 11. 1951 zogen sie (mit vier Enkelkindern) in die Käfersiedlung nach Sinstorf. 1956, nach dem Verbot der KPD in der BRD, übersiedelte Jakob Kock als Parteiveteran in die DDR. 1960 verlor er seinen dritten Sohn Arnold, auch er wegen Hochverrats in Haft und danach im Strafbataillon in Griechenland und Afrika, der den Spätfolgen einer in Kriegsgefangenschaft erworbenen Gelbsucht erlag. Jacob Kock starb am 11.4.1967.[8]

 

Zeitgleich mit Kock trat Max Neubacher als Spanienkämpfer in Erscheinung. Geboren am 19.4.1895 in Harburg, nahm er von 1914 bis 1918 am I. Weltkrieg teil, zuletzt als Feldwebel bei den Pionieren. Danach arbeitete er im Akkord bei Thörl. Mit 65-70 Reichsmark Wochenlohn und weiteren 40 Reichsmark Verdienst der Ehefrau gehörten die Neubachers zu den gutverdienenden Harburger Arbeitern. Allerdings war von diesem Geld auch die Mutter zu versorgen, der Vater war 1931 gestorben. Max Neubacher hatte drei Brüder und vier Schwestern.

(10) Einer der Wohnorte Neubachers in Harburg: Bremer Straße 127

 

Seit 1925 in der SPD, wechselte er 1931 zur KPD. Bis 1933 wirkte er als Harburger Leiter der „Roten Marine“, der Seeleute-Abteilung des Rotfrontkämpferbundes. Wegen fortgesetzter Tätigkeit für die KPD kam er von Anfang März bis November 1933 in das KZ Brandenburg. Nach seiner Entlassung gliederte er sich sogleich wieder in die Widerstandsarbeit in Harburg ein. Im Juli/ August 1934 begann die Polizei nach ihm zu fahnden, er ging daraufhin wie Kock in den Untergrund, etwa ein Jahr lang, um im Juli 1935 dann ebenfalls nach Dänemark zu fliehen. Hier wurde er von der Roten Hilfe Dänemark als Flüchtling betreut, was ihm die Duldung der dänischen Behörden sicherte. Am 26.1. 1937 meldete er sich bei diesen nach Spanien ab.

Neubacher wurde dem Tschapajew-Bataillon in der XIII. Brigade zugeteilt. Nach starken Verlusten wurde das Bataillon in die XI. Brigade eingegliedert. Aufgrund seiner militärischen Erfahrungen im I. Weltkrieg diente er in einer Offiziersfunktion (erst als teniente = Leutnant, dann als capitan = Hauptmann). Er schien dieser Aufgabe in hohem Maße gewachsen, wie Gustav Martens berichtet. In einem Brief aus Spanien an seine Mutter vom Januar 1938 berichtet er in leicht verschlüsselter Form begeistert über das Ansehen, das Neubacher (der ihm aus der Widerstandsarbeit bekannt war) bei den Mannschaften genoss: „ (...) Es sind unsere Harburger hier, unter anderem M. Nb. [Max Neubacher]. Er ist Meister. Ich habe ihn selbst nicht gesprochen, aber von ihm reden hören. Seine Arbeiter haben ihn gern. (...)“.

Neubachers Leben endete in Spanien. Laut der Sterbeurkunde, die seine Mutter am 27.12.1948 vom Standesamt Harburg ausstellen ließ, ist er im „Juli/ August 1938, nachmittags, Todestag und -stunde unbekannt, in Belchite bei Zaragossa gefallen“.[9]

 

Heinrich Coerber, geb. am 10.12.1901 in Harburg, lernte Schlosser und wurde 1920 Mitglied der KPD. Seit 1925 betätigte er sich als nebenberuflicher Harburg-Korrespondent der kommunistischen „Hamburger Volkszeitung“,[10] ab Oktober 1927 war er ihr hauptamtliches Redaktionsmitglied. Er wurde verantwortlich für die regionale Berichterstattung aus Schleswig-Holstein, Lübeck und Nordosthannover. 1932 avancierte er zum Redaktionsleiter.

Coerber war verheiratet mit Käthe Lau, geb. 18.12.1898 in Harburg. Die beiden hatten eine Tochter. Die Frau arbeitete bei der Sowjetischen Handelsvertretung in Hamburg. Die Familie wohnte in einem Neubau in der Hoppenstedtstraße 42, Heinrich Coerber bewohnte zusätzlich wegen seiner Redaktionsarbeit ein Zimmer in der Siemensstraße 1 in Altona.

Coerber geriet ab Januar 1933 als bekannter Kommunist sofort unter starken Verfolgungsdruck, es kam zu Haussuchungen in seinem Altonaer Quartier, in der Hoppenstedtstraße und bei seinem Bruder Christoph. Er tauchte in den Untergrund ab und lebte zweieinhalb Jahre in einem Bauwagen am südlichen Harburger Stadtrand. Er verrichtete für Baufirma Morgenroth Gelegenheitsarbeiten, die ihm durch seinen weiteren Bruder Karl Coerber vermittelt wurden.

Ende 1935 gelang ihm die Flucht in die Tschechoslowakei, von dort ging er nach Moskau. Ab Februar 1937 kämpfte er in den Internationalen Brigaden, ab April 1937 als Politkommissar eines Bataillons der XI. Brigade und Redakteur ihrer Zeitschrift „Pasaremos“. Im Oktober 1937 wurde er Sprecher und Redakteur beim „Freiheitssender 29,8“.[11] Ein Jahr später übernahm er wieder den Truppendienst als Politkommissar.

Anfang 1939 flüchtete Coerber nach Frankreich, im Juni dann nach Schweden. Im Mai 1940 erhielt er eine Arbeitserlaubnis, im Oktober 1940 fand er eine Stelle in der Maschinenfabrik Thule in Malmö. 1955 arbeitete er immer noch dort. 1945/ 46 war er Mitglied der KPD-Leitung in Schweden. Er wurde schwedischer Staatsbürger, holte seine Frau und die Tochter zu sich. Käthe Coerber hatte sich und die Tochter nach 1933 allein durchgebracht, nach der Schließung der Sowjetischen Handelsvertretung hatte sie als qualifizierte Kontoristin Arbeit bei einem Seehandelsunternehmen gefunden, die sie bis zu ihrer Übersiedlung nach Schweden ausübte. Das Paar bekam in Schweden noch zwei weitere Kinder. 1934 hatte sich Käthe Coerber am Widerstand der KPD in Eißendorf beteiligt und war kurz in Untersuchungshaft geraten.[13]

 

Willi Bormann, geb. 1.12.1903 in Samotschin/ Kreis Kolmar, arbeitete bis 1932 als Ölmüller bei Hobum, dann wurde er arbeitslos. Er blieb über 1933 hinaus in der KPD und der „Revolutionären Gewerkschaftsopposition“ (RGO) aktiv. Im September erfuhr er von der Frau eines verhafteten Mitstreiters, dass er auch auf der Liste der Gestapo stehe. Er floh sofort nach Dänemark. Dort blieb er bis Februar 1937.

Von Frühjahr 1937 bis Januar 1939 Teilnahme am Spanischen Bürgerkrieg, laut eigener Darstellung im Wiedergutmachungsantrag in den regulären Truppen der Spanischen Republik. Abel dagegen ordnet ihn dem 1., dann dem 8. Bataillon der XII. Brigade zu, lässt ihn dann Sargento im 4. Bataillon der XI. Brigade werden und schließlich als Teniente den Politkommissar einer Kompagnie. Jacob Kock bezeugte, Bormann 1937 in Spanien getroffen zu haben (vermutlich in Albacete). Anfang 1939 Internierung in den Lagern St. Cyprien und Gurs bis Februar 1940, zuletzt in einem Gefängnis in Toulon. Dort 1943 Flucht und Beteiligung an der Resistance im Maquis du Ventoux. Im Oktober 1945 kehrte Willi Bormann aus den südfranzösischen Bergen nach Harburg zurück. Er heiratete und bekam zwei Kinder (1950 und 1953). Er starb 1968 an den Spätfolgen der Internierungshaft.[14]

 

Kurt Schwotzer, geb. am 31.3.1897 in Hartmannsdorf/ Zwickau, Schmied, als Matrose Teilnehmer der Novemberrevolution, seit 1920 KPD, war als Parteifunktionär zunächst im Raum Uelzen tätig, der zur Unterbezirksorganisation Harburg-Wilhelmsburg gehörte. Im Frühjahr 1929 wurde er in die Bezirksleitung Wasserkante berufen, vermutlich mit einer Instrukteursfunktion für ganz Nordostniedersachsen, und zog aus diesem Grund in die Harburger Lindenstraße 30. Als presserechtlich Verantwortlicher verschiedener norddeutscher Parteiblätter wurde er zu Festungshaft verurteilt, der er sich 1931 durch Flucht nach Moskau entzog. Dort arbeitete er erst als Schmied in der Industrie, dann als Sekretär bei der deutschen Sektion der Komintern.

(11) Kurt Schwotzer 1897 bis 1980

Nach einer militärischen Ausbildung in Rjasan kam er im April 1937 nach Spanien. Er wurde Ausbilder an der Militärschule der XI. Brigade in Pozo Rubio. Im April 1938 geriet er in Gefangenschaft der Putschisten, wurde im März 1939 an Deutschland ausgeliefert und im KZ Fuhlsbüttel festgesetzt. 1940 bis zur Befreiung 1945 befand er sich im KZ Sachsenhausen. Danach Mitarbeiter beim ZK der KPD und der SED, überwiegend tätig im Sektor Außenpolitik und internationale Verbindungen. Kurt Schwotzer starb am 25.6.1980.[15]

 

Wilhelm Steinhagen, geb. am 8.11.1900 in Harburg, war als Spanienkämpfer in den letzten 65 Jahren fast vollständig in Vergessenheit geraten. Seine Lebensgeschichte hatte ihm keine Chance gegeben, örtlich oder familiär in Erinnerung zu bleiben.

Er verbrachte in Harburg in der 2. Bergstraße 2 lediglich seine Kindheit. Danach zog die Familie nach Hamburg-Rothenburgsort, wo er eine Schlosserlehre durchlief. 1919, nach der Lehre, verschlug es ihn kurz als Freikorps-Mann ins Baltikum, ob aus Landsknechtsromantik oder aus Hoffnung auf eine „Siedlerstelle“ im „Ostland“, wissen wir nicht. Danach folgten Seefahrt, Montagearbeiten hier und da und schließlich eine Anstellung bei der Deutschen Werft.

1930 wurde er arbeitslos. Er trat der KPD und dem Rotfrontkämpferbund bei und wirkte in der RFB-Kameradschaft Rothenburgsort als Kurier. Bereits 1929 war er Mitglied der Roten Hilfe geworden. Sein Strafregister begann sich nun zu verlängern: 1923 wegen einer gewalttätigen Streikaktion acht Monate Gefängnis, 1930 wegen Schusswaffenvergehens 3 Wochen Gefängnis, 1932 wegen Überfalls auf SA-Leute eine Mordanklage – Steinhagen nutzte eine kurze Unterbrechung der Untersuchungshaft Anfang 1934 zur Flucht in die Tschechoslowakei.

Hier ließ er sich im Oktober 1937 vom spanischen Heer für den Dienst bei den republikanischen Truppen anwerben. Er reiste via Österreich, Schweiz und Frankreich nach Figueras und schließlich Albacete. Über seine Beteiligung am Bürgerkrieg gibt es zwei Versionen: In einer späteren Anklageschrift wird auf Basis seiner Vernehmung ausgeführt, er sei der 35. Spanischen Division zugeteilt worden. Seine Aufgabe sei die Reparatur von Fahrzeugen, Telephon- und Rundfunkgeräten gewesen. Bei einem Reparatureinsatz an der Front bei Alcanez im März 1938 wurde er durch Franco-Truppen festgenommen. Im Mai 1939 folgte die Auslieferung nach Deutschland. Abel dagegen sieht ihn ab November 1937 als Mitglied der XI. Brigade und Schüler an deren Militärschule in Pozo Rubio und als franquistischen Gefangenen erst seit August 1938. Dies passt zu einer Notiz von Hochmuth/ Meyer, die Steinhagen – auf Basis von Erinnerungen Hamburger Spanienkämpfer – als Teilnehmer der Sommerkämpfe der XI. Brigade 1938 bei Belchite sehen.

Die Nazijustiz trat nun in Aktion. Zum einen verfiel sie auf den Gedanken, die Beteiligung Steinhagens am Spanischen Bürgerkrieg als Hochverrat gegen das Deutsche Reich zu werten [!]. Das Hanseatische Oberlandesgericht verurteilte ihn hierfür am 11.1.1940 zu 3 Jahren Haft. Andererseits stand noch die Mordsache an. Wegen Beteiligung an einem Mordüberfall erhielt Steinhagen vor dem Hanseatischen Sondergericht am 28.6.1940 noch weitere 8 Jahre obendrauf. Bis 1945 saß er im Zuchthaus Waldheim, dann wurde er befreit. Die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Hamburg untersagte eine weitere Inhaftierung.

Steinhagen kehrte nach Hamburg zurück und ließ sich in Wilhelmsburg nieder, später in Eppendorf. Er arbeitete damals beim Bezirksamt Wandsbek und war noch zweimal verheiratet. Er starb am 10.7.1961.[16]

 

Walter Steffens, geb. 4.3.1903 in Harburg, lernte Bäcker, arbeitete ab 1920 als Kohlentrimmer und Heizer. Er war Mitglied der KPD seit 1930 und Leitungsmitglied der „Roten Marine“ in Hamburg. Er war verheiratet mit der Hamburgerin Lisbeth Plehn, geb. 21.1.1908, und hatte mit ihr zwei Söhne.

Steffens wurde 1933 wegen „Sprengstoffverbrechens“, seine Frau wegen „kommunistischer Betätigung“ steckbrieflich gesucht. Sie flohen mit ihren Kindern nach Prag. Walter Steffens blieb hier bis 1938, u.a. als Leiter eines Emigrantenheims in Msek, und reiste dann nach Spanien. Dort wurde er Unteroffizier einer Granatwerfereinheit der XI. Brigade.

(12) Walter Steffens 1903 bis 1968

 

1939 bis 1943 blieb er in Frankreich interniert (St. Cyprien, Gurs, Le Vernet) und Nordafrika (Djelfa). 1943 meldete er sich freiwillig zum Dienst in der britischen Armee, 1944 ging er (zusammen mit Switalla) in die Sowjetunion und kämpfte in Spezialkommandos der Rote Armee gegen die Wehrmacht. Ab 1946 bekleidete er hohe Offiziersposten in der Seepolizei Mecklenburgs, zuletzt als Leiter der Seepolizeischule in Parow. Er starb am 9.12.1968 in Stralsund.  Lisbeth Steffens war 1939 kurz vor dem Einmarsch der Deutschen aus Prag nach England geflohen. Die beiden Söhne blieben in Obhut zurück. Ob es nach 1945 zu einer Wiederzusammenführung der Familie kam, ist uns unbekannt.[17]

 

Zum Schluss sei an den Spanienkämpfer Wilhelm Dietrichkeit erinnert. Er stand mit Harburg-Wilhelmsburg nur in loser Verbindung (insofern sein jüngerer Bruder Friedrich (geb. 12.8.1907) in Harburg und dann in Wilhelmsburg lebte), aber entsprach dem hier recht häufigen Typus des militanten proletarischen Haudegens, der in der Geschichtsschreibung der KPD bisher stets zu kurz kam. Diese Personen schildere ich deshalb gerne, wann immer es naheliegt.[18]

Dietrichkeit kam am 28.5.1906 in Dalldorf bei Uelzen als Sohn eines Kleinstbauern und Landarbeiters zur Welt. Die Familie zog mangels Auskommens 1909 nach Hamburg, wo der Vater bei Blohm und Voss begann, dann als Markthelfer jobte und bald einen eigenen Gemüseladen führte. Der offenbar gelehrige Sohn Wilhelm besuchte die Volksschule bis zum Ende und lernte anschließend Autoschlosser in einer Fortbildungsschule. Als 1919 der Vater an seinen Weltkrieg-Verletzungen plötzlich starb, brach er die Lehre ab und ging in die Landarbeit, um Mutter und den jüngeren Bruder zu unterstützen. 1925 kehrte er nach Hamburg zurück und arbeitete als Seemann und bei verschiedenen Abbruchfirmen. Er trat in die Gewerkschaft ein, 1926 in den Rotfrontkämpferbund und 1928 in die KPD. Seit 1930 war er Aktivist bei der „Roten Marine“. Auch bei ihm wuchs damit das Vorstrafenregister an: Er war vor 1926 bereits dreimal wegen Diebstahls verurteilt, 1927 und 1929 kam er jeweils kurze Zeit wegen Übertretung in Haft, Anfang 1931 erhielt er wegen schweren Diebstahls 16 Monate Gefängnis. In dieser Zeit scheint auch eine erste Familiengründung (mit Gertrud Zeidler und Tochter Ursula) gescheitert zu sein.[19]

(13) Wilhelm Dietrichkeit 1906 bis 1964

 

Im Sommer 1932 – er arbeitete nach seiner Gefängnishaft inzwischen bei der Hafenbetriebsgesellschaft als Stauer im Tagelohn – wurde er erneut verhaftet. Polizei und Staatsanwaltschaft sahen ihn als Mittäter bei einem angeblich von Mitgliedern des RFB organisierten Raubüberfall auf das Lohnbüro der Woermann-Reederei, bei dem immerhin 58.000 Reichsmark erbeutet worden waren. Dietrichkeit sollte davon 1.400 RM abbekommen haben, Geld, was laut seiner Aussage vor Gericht ausschließlich zur Beschaffung von Lebensmitteln für politische Gefangene Verwendung fand. Am 28.4.1933 wurde er wegen Hehlerei zu fünf Monaten Gefängnis verurteilt. Die Anklagepunkte Tatbeteiligung und Schusswaffengebrauch wurden vom Gericht nicht anerkannt.[20]

Die nun folgenden Monate und Jahre liegen im Dunklen. Die diesen Zeitraum betreffenden Selbstaussagen Dietrichkeits in seinem – übrigens ausgesprochen lustlos betriebenen – Wiedergutmachungsverfahren ab 1954 wurden von der Hamburger Wiedergutmachungsbehörde stark angezweifelt, um es vorsichtig auszudrücken. Er hatte in seinem Antrag seinen Strafprozess nicht angegeben, dafür aber behauptet, von Anfang März bis August 1933 im KZ Fuhlsbüttel in Schutzhaft gewesen und dann emigriert zu sein. Dies konnte beides nicht nachgewiesen werden. Beim Hamburger KPD-Emigranten Karl Bargstädt in Oslo, seinem laut eigener Aussage ersten Emigrationsort, tauchte er erst im Laufe des Jahres 1935 auf. Wir neigen zu der vorläufigen Hypothese, dass Dietrichkeit seit etwa 1932 zum engeren Kreis der „Roten Marine“ und der Internationalen Seeleute- und Hafenarbeiter-Gewerkschaft (ISH) gehörte und möglicherweise auch mit der Sabotage-Gruppe unter dem KPD-Funktionär Ernst Wollweber in Hamburg in Kontakt kam. Dafür spricht seine Bekanntschaft mit Bargstädt, der vor 1933 in Hamburg technischer Leiter des RFB und Wollweber-Mann gewesen war.[21] Sein Bruder Friedrich, der auch im RFB und in der KPD Mitglied und 1933 Orgleiter der „Antifaschistischen Front“ in Wilhelmsburg war, arbeitete bei der Stauerei „Einheit“, eines auf den Umschlag mit sowjetischen Schiffen spezialisierten Unternehmens, und gehörte sicher zu diesem Umfeld.[22] Möglicherweise nutzte Dietrichkeit diese Kontakte, um nach dem Ende der Strafhaft unterzutauchen und in den Organisationsnetzen der ISH nach Dänemark zu entkommen, z.B. im Rahmen des geheimen Umzugs der ISH-Zentrale von Hamburg nach Kopenhagen.[23] Dazu passt die kurze biographische Skizze zu Dietrichkeit bei Scholz, die zwar auch die Fuhlsbüttel-Legende enthält, aber ferner den Hinweis auf einen Aufenthalt ab „Herbst 1933“ in Dänemark.[24]

Wie auch immer: In Oslo lebte er illegal unter dem Namen „Karl Nielsen“. Bargstädt setzte ihn für Vorhaben der Wollweber-Gruppe ein, z.B. zur Observation der norwegischen Marinebasis Horten. Im Herbst 1936 reiste er von Oslo nach Spanien. Er wurde dort zunächst dem Etkar André-Bataillon der XI. Brigade als Kraftfahrer zugeteilt. In Personalakten der Internationalen Brigaden ist er ferner gelistet als Mitglied deren internen Sicherheitsdienstes in Albacete. Er arbeitete für diese Institution von 1936 bis 1939 ebenfalls als Fahrer.[25] Er lernte die Norwegerin Charlotte Hägensen kennen, die für die Internationalen Brigaden als Krankenschwester tätig war.[26]

Von Februar bis Mai 1939 Internierung in St. Cyprien und Gurs. Von dort geflohen, kehrte Dietrichkeit nach Norwegen zurück. Während der deutschen Invasion April bis Juni 1940 schloss er sich der norwegischen Armee an. Dann floh er nach England und wurde bis Dezember 1941 auf der Isle of Man interniert. 1943 bis 1945 Seemann auf Schiffen der englischen Handelsmarine, die Kriegsmaterial zum Kontinent transportierten. 1946 erneut Rückkehr nach Oslo.

Er begann nun, sich in Oslo eine legale Existenz aufzubauen. Er nahm Arbeit als Schlosser an, fuhr zeitweilig zur See, arbeitete schließlich als selbständiger Rohrbieger. Als Spanienkämpfer Norwegens geehrt, erhielt er dennoch nicht die norwegische Staatsbürgerschaft. Er besuchte seinen Bruder in der Veringstraße 51 in Wilhelmsburg, ließ sich aber nicht bewegen, nach Hamburg zurückzukehren. Er wollte stattdessen in die DDR, und korrespondierte zu diesem Zweck mit dortigen Freunden, z.B. dem Skandinavien-Emigranten Hermann Matern. Im Dezember 1956 endlich erlaubte die DDR die Einreise, Dietrichkeit zog mit Familie um und fand Arbeit als Baumaschinenfahrer. Nach einem schweren Unfall 1962 starb er am 29.4.1964 in Rostock.[27]

 

Eine erste Auswertung

Für tiefschürfende Erkenntnisse zur Beteiligung an den Interbrigaden ist es sicher noch zu früh. Wir erwarten, dass aufgrund der historiographischen Bemühungen im laufenden Jubiläumsjahr weitere Details und Querverbindungen innerhalb dieser Bewegung ermittelt werden, die solche später möglich machen. Aber einige Merkmale, die schon jetzt ins Auge springen, seien hervorgehoben:

Gruppen

Die Spanienkämpfer aus Harburg-Wilhelmsburg waren der Sozialstruktur des Standortes gemäß ausschließlich männlich und proletarisch. Es fehlen vollkommen bürgerliche oder kleinbürgerliche Berufe, die andernorts durchaus zum Rekrutierungsspektrum gehörten: Ärzte und Krankenschwestern, Intellektuelle. Innerhalb der rekrutierten Gruppe zeigt sich eine gewisse Dominanz der großbetrieblichen Arbeiter (Phoenix, Hobum, Thörl), und zwar solcher, die bereits in Harburg geboren waren, also zum geborenen Industrieproletariat gehörten.

Intern lassen sich drei Untergruppen unterscheiden, die „Familienväter“ mit längerer gewerkschaftlich-politischer Organisationserfahrung vor Ort (Teschke, Kock, Coerber), die „Parteisoldaten“ (Switalla, Neubacher, Steffens, Schwotzer) und schließlich die zumeist ledigen „Jungen“ (Martens, Bormann, Steinhagen, Brüggemann).

Flucht

Die Fluchtumstände und -wege zeigen gemeinsame Merkmale: Spontanes Abtauchen aufgrund unmittelbar drohender Ergreifung, dann eine z.T. sehr lange Phase primitivster Untergrundexistenz mit Unterstützung durch Familie und engste Freunde, dann Abstimmung eines organisierten Fluchtweges mit den illegalen Parteiinstanzen und der Roten Hilfe. Wir gehen davon aus, das mit Ausnahme von Teschke, der Verwandschaftsbeziehungen in Westdeutschland nutzte, und Schwotzer, der 1933 bereits in Moskau war, die hier erwähnten Personen mit Unterstützung der Roten Hilfe ins Ausland gingen und dort durch die Stützpunkte der Roten Hilfe erste Geldzahlungen erhielten. Prioritär war der Weg nach Skandinavien, was sich aufgrund der geographischen Nähe und der Schiffsverbindungen des großen Hamburger Hafens anbot. Danach rangierte der Weg nach Prag, der für die Berliner die Hauptrettung war und durch starke Schleuserposten in Sachsen relativ gut funktionierte. Für Funktionäre, die in Hamburg in der Bezirksleitung Wasserkante gearbeitet hatten, war im Anschluss – zumindest als Zwischenstation – Moskau das Ziel.

(14) Wege nach Spanien

 

Motive

Allen gemeinsam war die Motivlage, die sie in die Interbrigaden führte. Sie erwuchs aus dem Zusammenspiel

  • der akuten Bedrohung durch polizeiliche und gerichtliche Verfolgung (Fahndung, Misshandlung/ Ermordung, Anklage, Höchststrafen bis hin zur Todesstrafe),
  • einer außergewöhnlich prekären Lebenssituation (illegaler oder knapp geduldeter Aufenthalt in Exilländern, materielle Not),
  • dem Bedürfnis nach einer maximal wirksamen antifaschistischen Kampforientierung (militärischer Widerstand).

 

Selbstverständnis

Bleibt zum Schluss zu fragen, mit welchem politischen Selbstverständnis die Harburger nach Spanien gingen und in Spanien kämpften.

Bei der erstgenannten Gruppe, den „Familienvätern“, wird man annehmen dürfen, dass sie sich als Kommunisten sahen. Ihre Verfolgung resultierte aus ihrer Mitgliedschaft und Aktivität in der KPD in der Vergangenheit, ihre Flucht und die dann folgenden illegalen Organisationsbemühungen waren die Fortsetzung der Parteiarbeit unter den Bedingungen der faschistischen Herrschaft. Gleiches galt für ihren Einsatz in Spanien und schließlich ihre Rückkehr, die mit neuem Engagement für die KPD verbunden war, sei es der Wiederaufbau der KPD-Ortsgruppe in Harburg (Kock) oder die Parteiarbeit im Exilland (Coerber).

Die „Parteisoldaten“ werden die Dinge ähnlich gesehen haben. Bei Ihnen kam hinzu, dass sie – mit Ausnahme Neubachers – neben ihren militärischen Aufgaben mehr oder weniger in den Parteihierarchien fortwirkten und in deren Sinne Spezialaufgaben übernahmen. Daraus resultierte nach 1945 ihr unbedingter Wille zur Rückkehr in die sowjetische Besatzungszone und zur Beteiligung am Aufbau der DDR.

Die „Jungen“ kennzeichnete dagegen ein etwas anderes Selbstverständnis. Bei ihnen haben wir in Rechnung zu stellen, dass ihre Identifikation mit den Internationalen Brigaden ganz elementar mit ihren Erfahrungen in den Jahren 1931 bis 1933 zusammenhing: Arbeitslosigkeit, die unfruchtbare Konkurrenz von SPD und KPD, Straßenkämpfe mit den Nazis, erste organisierte Widerstandsarbeit in bisher nicht gewohnter Konspiration. Für sie bedeuteten Widerstand und Spanienkrieg in stärkerem Maße Bedingungen und Möglichkeiten für einen sozialistischen Neuanfang.

Es gibt zwei interessante Quellen zu diesem Komplex aus dem Harburger Geschehen. Die erste stammt aus dem Kreis der „Parteisoldaten“ in der Bezirksleitung Wasserkante. Diese berichtete am 26.12.1934 an die Berliner Parteizentrale über den Stand der Parteiorganisation im Bezirk: „In Harburg ist die Situation noch am besten. Dort kamen etwa 160 SPD-Mitglieder und SAJ-ler zu uns.“[28] Hier wurde also nach einem recht einfachen Muster der personelle Zugewinn als Übertritt zur KPD und ihren Positionen interpretiert.

Tatsächlich aber war es etwas anders. Gustav Martens schilderte die damaligen Vorgänge ein halbes Jahr später, am 21.5.1935, in einem für die schwedischen Behörden verfassten Lebensbericht:[29]

 

Die akzeptierte und gelebte Gleichberechtigung der ehemaligen sozialistischen Konkurrenten war tatsächlich eines der wesentlichen Kennzeichen des Harburger Widerstandes 1933 bis 1935. Mögen im Harburger Zentrum und in Wilstorf die Kommunisten überwogen haben, in Heimfeld und Eißendorf bestanden die Gruppen je zur Hälfte aus Sozialdemokraten und Kommunisten. Der Kommunist Otto Nehring, in der 3-köpfigen illegalen KPD-Unterbezirksleitung neben dem Polleiter Erich Meyer und dem Orgleiter Gustav Martens als Agitpropleiter für die Zeitung zuständig, hat mir Mitte der 1980er Jahre die damalige Kooperation in der gleichen Weise geschildert wie Martens in seinem Bericht. Auch Herbert Wehner lernte als Inlandschef der deutschen KPD-Widerstandsgruppen damals diese besonderen Harburger Verhältnisse kennen.[30]

Mit Blick auf diese ihre politischen Erfahrungen wird vielleicht auch ein anderer Zug in den Biographien der „Jungen“ verständlich: ihr freier, autonomer Umgang mit den Zwängen des Parteiapparates und der Parteidisziplin. Als engagierte Jugendfunktionäre oder Rotfrontkämpfer waren sie freiwillig Soldaten geworden, wurden darüber aber nicht zu Parteisoldaten. Martens blieb in seinem Selbstverständnis Kommunist, kehrte aber nicht nach Deutschland und in die deutsche KP zurück. Ihm gefiel seine Arbeit, seine Familie, kurz: seine schwedische Existenz. Er wurde aktives Mitglied der kommunistischen Brigadistenvereinigung, vermutlich war er auch in der schwedischen KP. Paul Brüggemann distanzierte sich nach 1945 nicht nur von Deutschland, sondern von der Politik überhaupt. Heinrich Coerber scheint ebenfalls politisch verstummt zu sein. Möglicherweise hat ihn der innerkommunistische Feldzug gegen vermeintliche Abweichler ab 1950 abgestoßen – er wäre als bekannter „Versöhnler“ der Jahre 1926 bis 1933 ein geeignetes Ziel gewesen. Ob Steinhagen und Bormann nach 1945 wieder der KPD beitraten, wissen wir nicht. In deren ersten Reihen sind sie nicht zu finden.

*   *    *

 

Im Februar 1939 mussten alle Interbrigadisten Spanien verlassen. 500.000 Spanier folgten ihnen ins Exil. Die Familien der Republikaner waren der Rache der Putschisten ausgeliefert. 150.000 Spanierinnen und Spanier gelten als „verschwunden“. Exhumierungen von Massengräbern und die Identifizierung von Opfern sind bis heute alltägliche Praxis.

*   *   *

Nachtrag zu Wilhelm Dietrichkeit

(Januar 2020)

Das stille Jahresende brachte Muße und einen Stöberfund, die umfangreiche Schrift des norwegischen Historikers Lars Borgersrud: Fiendebilde Wollweber. Svart propaganda i kald krig, Oslo 2001. [Feindbild Wollweber: Schwarze Propaganda im Kalten Krieg, in: http://www.larsborgersrud.no/boker/fiendebilde_wollweber.pdf]. Sie ist die Langfassung seiner auf Deutsch erschienenen, kürzeren Studie „Die Wollweber Organisation und Norwegen“, Berlin 2001, und enthält im Gegensatz zu dieser Aussagen über Dietrichkeit. Sie wurde wegen der Sprachbarriere in Deutschland kaum rezipiert, ist aber nun von Borgersrud auf seiner Website veröffentlicht und damit leichter aufzufinden und auszuwerten.

Gegenstand ihrer Dietrichkeit betreffenden Passagen ist die ab etwa 1948 intensivierte Zusammenarbeit der norwegischen Sozialdemokratie mit dem Überwachungsdienst der norwegischen Polizei (Politiets overvåkingstjeneste - POT) und anderen Geheimdienststellen beim Aufbau eines Netzwerks gegen befürchtete kommunistische Infiltrationsversuche und Sabotageaktionen (z.B. Schiffssprengungen). In diesem Kontext kam es zu einer gezielten Kontaktaufnahme von Per Monsen, Redakteur des sozialdemokratischen „Arbeiderbladet“ und Sohn des ehemaligen norwegischen Verteidigungsministers, mit dem von der norwegischen Regierung als Presseoffizier in Berlin stationierten Willy Brandt. Brandt schlug Monsen als Gewährsmann den Hamburger Metallarbeiter Karl Bargstädt vor, den er im Osloer Exil als Kommunisten und engen Mitarbeiter Ernst Wollwebers kennengelernt hatte.

Laut Brandt war Bargstädt nach sechs Jahren Haft in der Sowjetunion zurückgekehrt und hatte sich von der KPD/ SED abgewandt. Brandt hielt Bargstädt für absolut ehrlich. Dieser würde vermutlich mit Monsen zusammenarbeiten und vielleicht auch nach Norwegen zurückkehren wollen. Monsen kontaktierte Bargstädt und führte mehrere Gespräche mit ihm in Hamburg.

Bargstädt vervollständigte zunächst die Kenntnisse der Norweger über Wollwebers Kontaktleute im Oslo der 1930er Jahre. Da Dietrichkeit 1948 immer noch in Norwegen lebte, und Wollweber in der Schiffahrtsverwaltung der DDR immer höhere Posten einnahm, sah Monsen aktuelle Gefahren und informierte jene norwegischen Geheimdienstler, die für die Beobachtung deutscher Kommunisten in der Vorkriegszeit zuständig waren. Auch diese befragten Bargstädt in Hamburg. Als Resultat entstand schließlich die schaurige Drohkulisse einer hochkarätigen Konspiration eines Teams Wollweber-Dietrichkeit gegen Norwegen bis in die Gegenwart der Nachkriegszeit. Sie fügte sich ein in die allgemeine Kommunistenpanik seit dem Koreakrieg, die auch in Westdeutschland ihre Blüten trieb, auch hier gerade im sensiblen Bereich der Schiffahrt (s. den Artikel „Herbst der Rebellion“ auf dieser Website).

Der Autor Borgersrud untersucht dieses Feindbild in kritischer Perspektive. Er hat dabei alle Quellengruppen mit Bezug auf Dietrichkeit, vor allem die norwegischen Geheimdienstakten 1935 ff. und 1948 ff.  sowie Akten der SED und der Staatssicherheitsorgane in der DDR minutiös ausgewertet und klarsichtig beurteilt. Er kommt zu dem Ergebnis, dass die genannte Drohkulisse zumindest für die Nachkriegszeit ohne Substanz war und wesentlich aus den Vorurteilen und Selbstrechtfertigungsinteressen ihrer Konstrukteure hervorging. In seinem strengen Verständnis der Wollweber-Organisation - Borgersrud verwendet diesen Begriff ausschließlich für die aus seiner Sicht strikt von der Komintern, den Kommunistischen Parteien und auch der Seeleute- und Hafenarbeitergewerkschaft ISH entkoppelten Sabotageorganisation ab 1936 – war Dietrichkeit nicht ihr Mitglied. Er hatte wahrscheinlich 1932 bis 1934 im Rahmen der ISH mit Wollweber zu tun, er mag auch 1935 bis zu seiner Abreise nach Spanien 1936 von Bargstädt den einen oder anderen Auftrag bekommen haben, von der Organisation rekrutiert wurde er nicht.

Dessen ungeachtet hat Borgersrud wichtiges Material dargeboten, das die bisherigen Kenntnisse über Wilhelm Dietrichkeits Leben und Wirksamkeit erweitert und präzisiert. Hier eine Übersicht der wesentlichen Aspekte (die Seitenzahlen im Folgenden beziehen sich auf den Borgersrud-Text, auf den angegebenen Seiten finden sich auch die Quellenbelege für den jeweiligen Sachverhalt).

 

Fluchtmotive, Fluchtwege

Bargstädt betonte, er habe Dietrichkeit erst in Oslo kennengelernt, ihn nicht gemocht, gemieden, wegen der Woermann-Sache in Hamburg für einen Halbverbrecher gehalten. Er deutete auch an, Dietrichkeit habe während seiner Haft danach eingewilligt, mit der Gestapo zusammenzuarbeiten, sei dann aber nach seiner Entlassung gleich untergetaucht. 1935 habe er, Bargstädt, ein Hilfeersuchen für Dietrichkeit von der Exil-KPD in Dänemark erhalten, die entscheidende Hilfe bei Pässen und Wohnungssuche habe jedoch ein „Mädchen“ in Fredrikstad geleistet. Borgersrud lässt offen, ob er diese Distanzierung für glaubwürdig hält. Immerhin stützt Bargstädts Einlassung die These von der Flucht Dietrichkeits über Dänemark nach Oslo. Die norwegischen Behörden wussten ebenfalls von seinem Aufenthalt in Dänemark und einer dortigen Haftstrafe wegen Dokumentendiebstals. Auch dies ist ein weiterer Beleg. Dietrichkeit suchte in Oslo um Asyl nach und begründete den Dokumentendiebstahl mit politischen Motiven (S. 80 f., S. 151).

 

Kriegsteilnahme 1940, weiteres Exil

Während des Feldzugs der norwegischen Armee gegen den Angriff der Deutschen im April 1940 meldete Dietrichkeit sich freiwillig und nahm in der 2. Division/ Abteilung Kommandoschule an den Kämpfen bei Roa teil. Die Abteilung gelangte dann auf dem Rückzug Richtung Norden über Vestre Gausdal an die Küste und konnte unter Generalmajor Carl Fleischer an Bord der Fridtjof Nansen nach England übersetzen. In England war Dietrichkeit zunächst 17 Monate auf der Isle of Man interniert. Er wurde am 1. Dezember 1941 freigelassen, wie es scheint, auf eine Fürsprache des ehemaligen norwegischen Außenministers Havland Koht hin, der auch mit der Fritjov Nansen den Deutschen entkommen war und das Lager besucht hatte. Er fand eine Stelle als Mechaniker und Fahrer in einer Autofirma in London. Dort arbeitete er bis zum 19. Februar 1943, als er für den Rest des Krieges auf einem norwegischen Handelsschiff anheuerte.

 

Staatenlos durch die Nachkriegszeit

1946 zurück in Oslo, bei wechselnder, aber wohl regelmäßiger Beschäftigung. Die oben bereits erwähnte zeitweilige Seefahrt war eine Heuer auf dem Schiff „König Sigurd“ der Sønnenfjeldske Steamship Company, das ab Frühjahr 1948 eine feste Route nach Hamburg bediente. Als staatenloser Kommunist auf Deutschlandfahrt geriet er wieder unter polizeiliche Überwachung. An Bord wurde Dietrichkeit täglich beobachtet. Seine wiederholten Anträge, die norwegische Staatsbürgerschaft zu erhalten, wurden stets abgelehnt.

1950 arbeitete Dietrichkeit in einer kleinen Klempnerei in Oslo. Einer seiner norwegischen Kollegen dort war ein ehemaliger Wollweber-Mann, der ebenfalls überwacht wurde. Der Geheimdienst steigerte sich nun in die Phantasie hinein, die Werkstatt sei Teil eines russischen Subversionsnetzwerks, womöglich mit Bombenbau beschäftigt. Sie hielt es sogar für möglich, Dietrichkeit sei der getarnte Wollweber selbst. Obwohl sich dies alles über die Jahre als Unsinn erwies, dauerte die Ermittlung gegen Dietrichkeit und die strenge Überwachung seiner Familie und ihrer Bekannten bis mindestens zu seinem Tod 1964 an.

 

In der DDR

Dietrichkeit reiste sofort nach der Erlaubnis der DDR im Januar 1957 in das Land ein – erst noch ohne Familie. Er fand Arbeit zunächst in der Flussschiffahrt und dann als Maschinist in einen Betrieb bei Berlin. Dann bewarb er sich im November 1958 beim VEB Kühlautomat/ Betrieb Stralsund, weil – wie er kundgab – Ärzte einen Aufenthalt der Kinder an der See empfohlen hätten.

Im März/ April 1960 nahm ein Beamter der Hafengruppe des Ministeriums für Staatssicherheit in der Volkswerft Stralsund mit Dietrichkeit Kontakt auf. Der Mann stellte sich als Vertreter des MfS vor und bat um ein Gespräch im Hause Dietrichkeit über die Bedingungen im VEB Kühlautomat. Dem MfS sei bekannt, dass Dietrichkeit mehrfach Fehler und Mängel im Unternehmen angesprochen habe, ohne dass die Umstände berichtigt worden seien. Ob das an der Unternehmensführung liege? In gleicher Weise wurden der Betrieb und die Projekte auf der Volkswerft besprochen. Schließlich sprach Dietrichkeit über sein Leben im Exil, seine Zeit in Spanien und in Norwegen.

In seinem Gesprächsvermerk legte der MfS-Mann dar, dass Dietrichkeit ein ehrlicher und aufrichtiger Kollege sei, Wohnung und Frau einen positiven Eindruck machten und seine Sprachbegabung eindrucksvoll sei (fünf Sprachen). Am 8. April unterschrieb Dietrichkeit dann sein Einstellungsformular als Geheiminformant mit dem Decknamen "Arnold", den er selbst wählte.

 

Drei Ehen, Zahl der Kinder

Wie die kurze Hamburger Ehe mit Gertrud Zeidler scheiterte auch die in Spanien geschlossene Ehe mit Charlotte Hägensen, vermutlich noch im Krieg. 1948 heiratete er deren Schwester Edel Hägensen. Beide Frauen waren Kommunistinnen. Ob die im Wiedergutmachungsantrag an die Hamburger Sozialbehörde von 1954 genannten drei Kinder alle die dritte Frau als Mutter hatten, bleibt unklar. Anlässlich der Übersiedlung der dritten Ehefrau in die DDR im Sommer 1957 ist in den DDR-Akten nur von zwei Kindern Begleitung die Rede. Die Frau und die beiden Kinder kehrten später nach Norwegen zurück, ob auf Dauer, bleibt in Borgersruds Darstellung unklar (S. 152 – 162).

Anmerkungen

[1] Staatsarchiv Hamburg (StAH) 351-11 Nr. 21173; Maaßen, Hans (Hg): Brigada International, Berlin 1974, Bd. 2, S. 20. Aus welchen Quellen die in der Literatur ebenfalls genannten Todesdaten 17.4.1937 bzw. 9.5.1938 stammen, ist derzeit nicht mehr nachvollziehbar; vgl. Hochmuth, Ursel/ Meyer, Gertrud: Streiflichter aus dem Hamburger Widerstand 1933 – 1945, Köln 1980, S. 206; Abel, Werner/ Hilbert, Enrico: Sie werden nicht durchkommen, Berlin 2015, S. 510.

[2] DRAFD e.V. Verband Deutscher in der Résistance, in den Streitkräften der Antihitlerkoalition und der Bewegung „Freies Deutschland“ e.V., in: http://www.drafd.de/files/DRAFD_Deutsche_in_der_Resistance_biographisches_Lexikon.pdf, 27.1.2017. DRAFD gibt als Buss’ Geburtsort Harburg an, Abel 2015, S. 99 nennt Saratov, Russland.

[3] Abel 2015, S. 444 f.; vgl. Eiber, Ludwig: Arbeiter und Arbeiterbewegung in der Hansestadt Hamburg in den Jahren 1929 bis 1939, Frankfurt/ M 2000, S. 669; Pusch, Thomas: „Spaniens Himmel ...“ und auch für Schleswig-Holsteiner Antifaschisten „Keine Sterne – ihr Weg durch den Spanischen Bürgerkrieg“, S. 22 ff., in: http://www.akens.org/akens/texte/info/32/17.html, 5.2.2017.

[4] BA R 58/ 9676; StAH 351-11 Nr. 37941. Das von Abel 2015, S. 91 behauptete Exil Brüggemanns in der Sowjetunion von 1939 bis 1960 hat nie stattgefunden.

[5] Bundesarchiv (BA) R 58/ 4201. Angaben zu Switalla sind teilweise widersprüchlich: In dem oben genannten Erinnerungsbuch (Maaßen 1974, Bd. 1, S. 234) erscheint S. bereits im Winter 1936 als Zugführer im Rang eines Leutnants (teniente) einer Maschinengewehreinheit der XIV. Brigade in Spanien, während Weber, Hermann/ Herbst, Andreas: Deutsche Kommunisten, Berlin 2004, S. 774 f., ihn zu dieser Zeit noch in Moskau sehen.

[6] http://gustavmartens.weebly.com, 5.2.2017

[7] BA 1/ I 2/ 3 101; StAH 351-11 Nr. 35540; Volksblatt v. 18.5.1928; Website Gustav Martens, http://gustavmartens.weebly.com, 23.1.2017. Die Angaben zu Gustav Martens in Abel 2015, S. 322 sind, man kann es leider nicht anders nennen, absoluter Kokolores.

[8] StAH 351-11 Nr. 8015; StAH 351-11 Nr. 36490; die anderen, S. 84, 135, 169, 172, 300; Stolpersteine in Hamburg, in: http://www.stolpersteine-hamburg.de/?MAIN_ID=7&BIO_ID=386, 25.1.2017; Abel 2015, S. 267.

[9] Die Lebensdaten sind der Wiedergutmachungsakte entnommen: StAH 351-11 Nr. 2405. Der Brief von Gustav Martens ist zitiert nach http://gustavmartens.weebly.com/liebe-mamma-1937-38.html, 30.1.2017. Die Angabe bei Hochmuth 1980, S. 201 (unkritisch übernommen in die anderen 2005, S. 171, in Abel 2015, S. 369 und in Stolpersteine in Hamburg, in: http://www.stolpersteine-hamburg.de/?&MAIN_ID=7&r_name=neubacher&r_strasse=&r_bezirk=&r_stteil=&r_sort=Nachname_AUF&recherche=recherche&submitter=suchen&BIO_ID=1452, 25.1.2017), Neubacher sei am 10. Januar 1938 bei Teruel gefallen, ist nicht belegt. Der Angabe der Mutter in der Wiedergutmachungsakte wird hier daher der Vorzug gegeben.

[10] https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/NUVMRJOOBOBV6LYE4ZCCRSELLXYDT7SZ.

[11] Eiber 2000, S. 451 f.

[12] Entfallen.

[13] StAH 351-11 Nr. 24587; StAH ES NR. 10977; Scholz, Michael: Skandinavische Erfahrungen erwünscht? Nachexil und Remigration: die ehemaligen KPD-Emigranten in Skandinavien und ihr weiteres Schicksal in der SBZ/DDR, Stuttgart 2000, S. 53; Abel 2015, S. 274.

[14] StAH 351-11 Nr. 26835; Abel 2015, S. 78.

[15] BA RY1/ I 3/ 16/ 18; BA RY1/ I 3/ 16/ 22; BA SgY 30/ 58; StAH ES Nr. 10977; Ernst Thälmann Gedenkstätte (ETG) c-18;Weber 2004, S. 227 f.; Volksblatt v.; Maaßen 1974, Bd. 2, S. 206;

[16] StAH 313-11 Nr. 3436/ 40; StAH 351-11 Nr. 23340. Die erste hier genannte Akte ist die Strafakte aus den Jahren 1933 ff. Sie gibt als Geburtsdatum den 8.11.1900 an. Die zweite Akte ist die Wiedergutmachungsakte 1948 ff., die in der Aktenregistratur den 9.11.1900 ausweist, in der Akte selbst aber auch den 8.11.1900 als Angabe enthält. Abel 2015 gibt ohne Beleg den 9.10.1900 als Geburtsdatum an; Abel 2015, S. 491. Zu Belchite: Hochmuth 1980. S. 197.

[17] https://de.wikipedia.org/wiki/Walter_Steffens_(Offizier); StAH 351-11 Nr. 28860; Abel 2015, S. 490.

[18] Neben dem o.g. Friedrich Steinhagen gehören die Harburger Willi Reinke und Heinrich Ahrens in diese Gruppe.

[19] StAH 351-11 Nr. 31456.

[20] StAH 213-11 Lo 376/34 Bd.1.

[21] Vgl. Lorenz, Einhart: Exil in Norwegen. Lebensbedingungen und Arbeit deutschsprachiger Flüchtlinge 1933-1943, Baden-Baden 1992, S. 199.

[22] StAH 351-11 Nr. 32085. Im sog. „Trampenau-Prozess“ im Februar 1933 wegen Beschießung einer Stahlhelmdemonstration in Wilhelmsburg durch RFB-Mitglieder trat Friedrich Dietrichkeit als zentraler Entlastungszeuge des angeklagten Richard Trampenau auf. Gleichzeitig half er, den mutmaßlich wirklichen Täter auf einem sowjetischen Schiff außer Landes zu schaffen; vgl. die anderen 2006, S. 75 – 78.

[23] Vgl. Eiber 2000, S. 581 – 599.

[24] Scholz 2000, S. 352. Leider gibt Scholz hierfür seine Quelle nicht an.

[25] BA Sg Y V 237/ 4/ 29.

[26] StAH 351-11 Nr. 31456.

[27] Scholz 2000, S. 352. Lt. Abel 2015, S. 117 reiste D. erst im Dezember 1957 ein (ohne Quellenangabe). Der Schriftsteller Adolf Dresen hat Wilhelm Dietrichkeit ein sehr schönes Denkmal gesetzt – auf literarische Weise. Er schildert sein Leben, wie es war, aber immer einen halben Meter neben der Realität. Er muss es sehr gut gekannt haben, dieses Leben, aus welcher Quelle auch immer; vgl. Der Freitag v. 31.3.2000, https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/zum-beispiel-dietrichkeit, 1.2.2017.

[28] BA Ry 1/I 2/3 101.

[29] Dieser Bericht ist in voller Länge faksimiliert in: http://gustavmartens.weebly.com/levnadsbeskrivning-1935.html, 1.2.2017.

[30] Wehner, Herbert: Zeugnis, Bergisch Gladbach 1984, S. 111.

 

 

Bildnachweis

(1) http://gustavmartens.weebly.com, 5.2.2017

(2) fraujansen kommunikation, Hamburg

(3) Zentralinstitut für Geschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR (Hg): Atlas zur Geschichte Bd 2, Gotha/ Leipzig 1975, S. 33

(4) http://gustavmartens.weebly.com

(5) http://gustavmartens.weebly.com

(6) Die radikale Linke, Hamburg 2007, S. 76

(7) http://gustavmartens.weebly.com

(8) http://gustavmartens.weebly.com

(9) Hochmuth 1980, S. 597

(10) Archiv Gotthardt

(11) Weber, Deutsche Kommunisten Supplement, Berlin o.J., S. 228

(12) Abel 2017, S. 203

(13) Abel 2017, S. 121

(14) fraujansen kommunikation, Hamburg

 

 

 

 

Zurück