Die radikale Linke in Harburg-Wilhelmsburg

Nachtrag 1: Die Revolution 1917 – 1923

Text: Christian Gotthardt

(1) Der USPD-Vorsitzende Hugo Paul am 1. Mai 1919 auf dem Harburger Sand

2007 erschien das Buch „Die radikale Linke als Massenbewegung – Kommunisten in Harburg Wilhelmsburg 1918–1933.“ Genau wie beim Buch „die anderen“, der Darstellung von Widerstand und Verfolgung in Harburg und Wilhelmsburg 1933–1945, soll der 10-jährige Geburtstag Anlass sein, über seitdem erzielte neue Aktenfunde und Erkenntnisfortschritte Bericht zu geben. Dies soll diesmal nicht in einem Rutsch geschehen, sondern in einer Artikelfolge: Als Auftakt „Neues“ aus der Revolutionszeit bis 1923, dann eine Analyse organisatorischer und fraktioneller Entwicklungen innerhalb der KPD zwischen 1924 und 1930, schließlich ein Blick auf bislang wenig beachtete Wanderungsbewegungen zwischen KPD, SPD und Linkssozialisten, insbesondere am Vorabend der faschistischen Gewaltherrschaft.

 

Ein neuer Blick auf die Wilhelmsburger Hungerrevolte im Februar 1917

Das Buch „Die radikale Linke...“ zog eine Art chinesischer Mauer zwischen den schweren Hungerrevolten August 1916 in Hamburg, Januar 1917 in Harburg und Februar 1917 in Wilhelmsburg auf der einen Seite und den Januarstreiks in Hamburg 1918 und der Novemberrevolution im gleichen Jahr auf der anderen Seite. Hier trennten sich, so meine Einschätzung damals, die Kampfformen des unpolitischen spontanen Volksprotests von den organisierten Kampfformen der modernen Arbeiterbewegung. Dass aus dem einen innerhalb eines Jahres das andere werden konnte, sei Ergebnis der Gründung von Ortsgruppen der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, der USPD, im Verlauf des Frühsommers 1917.[1]

An dieser Sicht ist im Prinzip festzuhalten. Jedoch scheint es nach neuen Aktenfunden angebracht, speziell die Wilhelmsburger Hungerrevolte vom Februar 1917 stärker von der Harburgs im Vormonat abzuheben, sie gewissermaßen über die Mauer in das Lager des modernen Arbeiterkampfes hinüber zu heben. Grund sind vertiefte Erkenntnisse über den sozialistischen Lokalmatador Wilhelmsburgs, Walter Riemer, und über Details im Verlauf der Revolte.

Zunächst zu Riemer. Er war Maschinenschlosser auf der Vulkan-Werft in Wilhelmsburg, dort Vertrauensmann der Gewerkschaftsmitglieder des Deutschen Metallarbeiterverbands und in betrieblicher Funktion einer der drei Obmänner der Belegschaft. Seit dem 22. Juni 1916 herrschte Streik bei Vulkan um Lohnerhöhung, die Betriebsführung denunzierte Riemer bei der als Ordnungsmacht tätigen Militärverwaltung und bezeichnete ihn dabei als Streikführer. Im Juli 1916 wurde er auf dem Firmengelände durchsucht und wegen Besitzes von Flugblättern der linksoppositionellen Spartakus-Gruppe aufgegriffen und inhaftiert.[2]

Eine versuchte Anklageerhebung wegen Landesverrats scheiterte, ein ebenfalls erwogener Fronteinsatz offenbar auch, er verbot sich aufgrund unabweisbarer Untauglichkeit (Wasserbruch). Riemer blieb in zunächst in Sicherungshaft, die mehrfach verlängert wurde.[3] Ob er nach Einstellung des Strafverfahrens im September 1916 aus dieser Haft entlassen wurde, ob er schließlich doch an die Front kam, wissen wir nicht. Er wohnte damals mit seiner Frau und einem fünfjährigen Kind in Neuhof, Köhlbrandstraße 201. Erst im Januar 1919, rund zwei Monate nach Beginn der Novemberrevolution, tauchte er wieder in der Öffentlichkeit auf – sogleich als Leiter der örtlichen USPD und Vorsitzender des Wilhelmsburger Arbeiterrats an der Spitze der revolutionären Bewegung.

 

(2) Die Vulkanwerft von Norden gesehen, 1915

 

Klar ist jedenfalls: Mit der zeitweiligen Ausschaltung Riemers hatte die Militärverwaltung die linksradikalen Tendenzen in der Vulkan-Belegschaft nicht unterbinden können. Wir wissen von zwei Metallarbeitern, die vermutlich als spartakistische Flugblattverteiler in der Belegschaft weiterwirkten und auch ab Frühjahr 1917 den Gründungsimpuls der USPD in den Betrieb trugen: Wilhelm Sternberg (geb. 17.9.1879) und Richard Sergel (geb. 20.4.1885).[4]

Nun ein Blick auf die sozialdemokratische Jugend im Hamburger Raum. Viele ihrer Mitglieder gehörten zur innerparteilichen linken Opposition. Dass 1916 die vom SPD-Parteivorstand aus diesem Grund aufgelöste Jugendorganisation ein von mehreren tausend Jugendlichen besuchtes (illegales) Herbstfest in der Harburger „Volkswohl“ feierte, lässt auf oppositionelle Kontakte in den Hamburger Süden schließen.[5] Desgleichen der Umstand, dass im Juli 1917 die der USPD zuneigende, aus der aufgelösten Arbeiterjugend der SPD hervorgegangene „Freie Jugendorganisation für Hamburg, Altona und Umgegend“ ihre „Generalversammlung“ gerade in Wilhelmsburg abhielt.[6]

Schließlich zur Wilhelmsburger Hungerrevolte im Februar 1917: Wie eine Strafakte im Staatsarchiv Stade aufzeigt, begann diese nicht wie ihre Harburger Vorläufer am 12. und am 16. Januar auf der Straße vor den Brotläden. Es war die Belegschaft der Vulkan-Werft, die gegen Mittag des 27.2. wegen der katastrophalen Versorgungslage den Streik ausrief. Ca. 2.200 Vulkan-Arbeiter marschierten über Neuhof und die Reiherstiegbrücke nach Wilhelmsburg, um mit der Gemeindeverwaltung Verhandlungen über die Ausgabe von Lebensmitteln zu führen. Erst als sich diese in die Länge zogen, begannen die Plünderungen von Lebensmittelläden, v.a. Bäckereien. Zumeist stießen Gruppen von Jugendlichen oder Jungarbeitern die Ladentüren auf, woraufhin Frauen die Läden stürmten, sich mit Ware eindeckten und an Draußenstehende verteilten. 13 dieser Jugendlichen wurden von der Polizei aufgegriffen und standen im Juni 1917 vor Gericht. Ihr Durchschnittsalter betrug 17 Jahre 9 Monate.[7] Vermutlich handelte es sich bei Ihnen mehrheitlich um im Schnellverfahren angelernte Beschäftigte der Vulkan-Werft, die im Kriegsdienst stehende Hilfsarbeiter, z. B. als Nietenwärmer, ersetzen sollten. Solche Einsätze hatten Anfang 1916 begonnen, Ende 1917 umfasste diese Beschäftigtengruppe auf der Vulkan-Werft rund 250 Personen. Die (noch nicht wehrpflichtigen) Jugendlichen waren durch Drohung mit dem „Schützengraben“ nicht zu beeindrucken, ihr Selbstbewusstsein und ihre Konfliktbereitschaft wurden durch die Dienstverpflichtung eher gesteigert.[8] So mehrten sich die Klagen der Unternehmer und Jugendpfleger über deren angebliche „Verwahrlosung“. Im Januar 1917, wenige Wochen vor dem Ausbruch der Hungerrevolte, hatte die Harburger Handelskammer verlautbart: „Geklagt wird sehr viel über die jugendlichen Arbeiter von 14 bis 17 Jahren, die den Ernst der Lage augenscheinlich noch nicht erfasst haben und sich zum Teil als faul und renitent erweisen, auch Lohnforderungen stellen, die zu ihren Leistungen in keinem Verhältnis stehen und bei Nichtbewilligung dieser unangemessenen Forderungen die Arbeit ablehnen und es vorziehen, herumzubummeln und Unfug zu treiben.“[9]

(3) Im Gegenschuss: Nieter beim Bau der Imperator, 1911. Photo: Johann Hamann

 

Kurzum: Spartakus, Vulkan-Belegschaft, Jugendopposition in der SPD, USPD – hier entstand in Wilhelmsburg und Harburg ein Milieu, in dem sich spätere Akteure der Novemberrevolution bereits seit 1916 einübten, aus politischen Motiven, mit neuen Formen der Aktion und Organisation.

 

Sozialdemokraten: den eigenen Verrat verraten

Wie in „Die radikale Linke...“ dargestellt, standen die Leitungskader der Harburger und Wilhelmsburger SPD solchen Bestrebungen verständnislos und distanziert gegenüber. Sie fürchtete durch sie die Kontrolle über jede Art von Volksbewegung zu verlieren, die zu besitzen sie vorgab und die Voraussetzung war für ihre Akzeptanz als Partner der Monarchie im Burgfrieden der Kriegsgesellschaft. Eine Anekdote aus dem Jahr 1918 zeigt, dass diese Distanz auch die Haltung der SPD in den Tagen der Novemberrevolution prägte.

Als sich nach dem Kieler Matrosenaufstand Anfang November auch in Harburg und Wilhelmsburg spontan, vor allem aus den Werftbelegschaften heraus, die Arbeiterräte gründeten und die Macht in den Kommunen übernahmen, traten verspätet auch die Sozialdemokraten, vermittelt über das Stimmenpotential der sozialdemokratischen Gewerkschaftsmitglieder, in diese Gremien ein. Sie betätigten sich hier von Beginn an als Bremser und scheuten dabei auch nicht die verdeckte Zusammenarbeit mit den Unternehmern.

Ein bisher nicht bekanntes Beispiel hierfür liefert ein kürzlich entdecktes sozialdemokratisches Selbstzeugnis aus dem Jahr 1932. Als die Harburger NSDAP bei der damaligen Reichspräsidentenwahl den nationalsozialistischen Wirtschaftstheoretiker Werner Daitz als Werberedner für Hitler aufbot, wollte das sozialdemokratische Volksblatt diesen unbedingt als opportunistischen Wendehals outen. Es gab öffentlich preis, dass die SPD sich im November 1918 von Daitz, der seit 1912 als Direktor der Harburger Chemischen Werke Dr. Schön & Co. (einer Tochter von Phoenix und Thörl) tätig war, politische Unterstützung geholt hatte. So wurde Daitz zum (heimlichen) Verfasser der ersten öffentlichen Deklaration des Arbeiterrates, die von der SPD dann als ihr Vorschlag in den Rat eingebracht und von dessen Mitgliedern mehrheitlich bestätigt wurde.[10]

Diese Deklaration war nichts anderes als ein scheinbares Aufgreifen der Revolutionsstimmung bei gleichzeitigem Aufruf zu Passivität und Unterordnung. Rhetorisch glänzend präpariert, entsprach sie vollkommen den Wünschen der sozialdemokratischen Führer – die offenbar selbst nicht in der Lage waren, ihnen Ausdruck zu geben:

„Aufruf an alle Volksgenossen! An die Einwohnerschaft von Harburg und Umgegend!

Nachdem der Arbeiter- und Soldatenrat sich in den Besitz der gesamten Macht gesetzt hat, halten wir es für unsere Pflicht, alle Volksgenossen darüber aufzuklären, daß wir unsere Macht rücksichtslos brauchen, aber niemals mißbrauchen werden. Denn wir wollen nicht die Herrschaft der Gewalt, sondern die Herrschaft des Rechts begründen. Wir wissen, daß eine Herrschaft der Macht nichts Dauerndes, sondern nur das Recht unvergängliche Werte schaffen kann. Wie wir stets bestrebt waren, den Weltkrieg, der in Wahrheit gar nicht Krieg, sondern Weltrevolution und Weltsintflut ist, durch einen allgemeinen Frieden des Rechts abzuschließen und zu sühnen, so sind wir auch bestrebt, innerhalb der einzelnen Staaten und Volkswirtschaften einen Rechtsfrieden aufzurichten. Wir wissen, daß es Unsinn und Wahnsinn wäre, einen Rechtsfrieden in der Welt zu wollen und andererseits die Diktatur einzelner Volksklassen innerhalb der Staaten zu verewigen. Wir wenden uns gegen jede Gewalt!

Wir wollen überall die Herrschaft des Rechts. Und nur deshalb, um gegenüber den bisherigen Gewalten die Herrschaft des Rechts aufzurichten, haben wir in den Arbeiter- und Soldatenräten eine vorläufige Organisation geschaffen. Wir wollen nur die alte Gewalt stürzen, damit ein wahrhaftes und neugeborenes Recht an ihre Stelle treten kann. Der Arbeiter- und Soldatenrat wird seine Herrschaft an dem Tag niederlegen, an dem er sichere Gewähr für die künftige Herrschaft des Rechts im deutschen Volksstaat in allen seinen Einrichtungen erlangt hat.

Wenn der neue Reichstag, der aus dem gleichen, direkten und geheimen Wahlrecht aller mündigen Männer und Frauen hervorgegangen ist, sich als Nationalversammlung konstituiert hat, wenn ferner in Staat und Gemeinden aufgrund desselben Wahlrechts wie zum Reichstag Vertretungen geschaffen sind, die allen Bevölkerungsklassen die Möglichkeit zur Mitarbeit sichern, wird der Arbeiter- und Soldatenrat gern zurücktreten.

Wir wollen niemanden terrorisieren, aber wir wollen und brauchen die Mitarbeit aller Volksgenossen ohne Ausnahme. Wir wollen den wahrhaft geistigen Kräften und Ideen des Volkes, die allein berufen sind, die neue Welt zu bauen, zum Durchbruch verhelfen, die unter der Herrschaft der bisherigen Gewalthaber nicht ans Licht steigen konnten.

Jeder einzelne soll in der neuen Welt frei seine Kräfte und Fähigkeiten regen können, solange er nicht die Freiheit seiner Mitmenschen behindert.

Volksgenossen, laßt euch nicht täuschen durch harte und bittere Geschehnisse dieser Tage. Sie waren unvermeidlich. Sie sind nur der Schlackenregen eines vulkanischen Ausbruchs, dem der glühende Strom lebendiger schöpferischer Kräfte folgen wird.

Volksgenossen! Wir sehen die neue Zukunft, wir sehen ihr Morgenrot emporsteigen. Glaubt mit uns an die glückliche, schönere und friedliche Welt, die wir schaffen wollen.

Helft alle mit dazu! Alle, ohne Ausnahme! Wir bauen für alle und alle müssen helfen. Denn wir wollen nicht die Herrschaft der Gewalt, sondern die Herrschaft des Rechts!

Harburg, den 10. November 1918.

Der Arbeiter- und Soldatenrat von

Harburg und Umgegend.”[11]

(4) Daitz

 

Daitz hatte nach seiner Ausbildung zum Kaufmann und Ingenieur-Chemiker zunächst als rühriger Unternehmer sowohl eigene Unternehmen gegründet als auch in verschiedenen chemischen Großbetrieben als Betriebsleiter gearbeitet. Erstmalig vertrat er seine völkisch-nationalistischen Wirtschaftstheorien öffentlich im Jahr 1916.[12] Ob er 1918 aus eigenem Antrieb mit der SPD kooperierte oder von den Familien seines Gesellschafterkreises vorgeschickt worden war, ist unklar. Vielleicht trifft beides zu. Bei Schön und Co. blieb er bis etwa 1927, um sich dann als Geschäftsführer um seine Reederei in Lübeck zu kümmern. 1931 trat er in die Reichsleitung der NSDAP ein und wurde deren Reichstagsabgeordneter und führender Wirtschaftsstratege. Von ihm stammte die Konzeption der „europäischen Großraumwirtschaft“, die wesentlich die Kriegsziele Deutschlands im 2. Weltkrieg bestimmte. Seit 1933 bekleidete er führende Positionen im Wirtschaftsministerium sowie im „Außenpolitischen Amt“ der NSDAP. Er starb angeblich am 5. Mai 1945, ein Selbstmord ist ebenso denkbar wie ein Abtauchen unter falschem Namen.[13]

Eine Ironie der Geschichte, wie sie klassischer nicht sein kann: Die SPD will 1932 die Gesinnungslumperei eines politischen Gegners outen - dabei outet sie einzig ihre eigene von 1918.

 

Einheitsfrontpolitik und gewerkschaftliche Verankerung

In der Darstellung der KPD-Gewerkschaftspolitik hatte ich 2007 einen nur kursorischen Überblick für die ersten Jahre der Weimarer Republik gegeben. Dabei standen die Probleme im Vordergrund, vor allem Probleme ideologischer Art: die Ablehnung der sozialdemokratischen Gewerkschaften an der Parteibasis und die andauernde Wirksamkeit syndikalistischer Organisationsvorlieben ebendort.

Nun gelten die Jahre 1921 bis 1923 andererseits als eine Phase, in der die KPD durch Anstöße des zeitweiligen Vorsitzenden Ernst Meyer eine ehrliche und aktive Einheitsfrontpolitik betrieb, auf die Sozialdemokratten zuging und in den Betrieben mit ihnen zusammenarbeitete. Es war daher zu prüfen, ob speziell in diesen Jahren nicht doch zumindest zeitweilig auch Erfolge möglich waren.

Tatsächlich waren Spuren solcher Erfolge zu entdecken. Entscheidend war die politische Lage nach der Ermordung des Reichsaußenministers, des Demokraten Walter Rathenau, durch Rechtsradikale im Juni 1922. Während vorher durchaus aufrichtige Einheitsfront-Avancen der KPD-Bezirksleitung Wasserkante von der SPD abgewiesen worden war, begannen sich nun die Belegschaften der Großbetriebe gegen rechten Terror zu politisieren. Es kam wieder zur Bildung von „Aktionsausschüssen“ (wie schon 1917, 1918/19 und beim Kapp-Putsch 1920), in denen nun KPD und USPD und SPD gleichermaßen vertreten waren. Den Sozialdemokraten wurde bei dieser Entwicklung recht schwindelig, sie suchten den Exit. „Aber“, wie die Hamburger politische Polizei einschätzte, „ es darf nicht verkannt werden, dass die Mehrheit der Arbeiter in den gemeinsamen Zusammenkünften der drei Parteien etwas Dauerhaftes sieht.“

Im September 1922 berichtete die Bezirksleitung der KPD Wasserkante in einem Rundschreiben, dass es in Harburg deutlichen Mitgliederzuwachs gäbe und insbesondere in den Gewerkschaften „steigender Einfluss“ zu verzeichnen sei.[14]

Meldungen aus den Einzelgewerkschaften aus diesem Zeitraum bestätigen diese allgemeinen Einschätzungen:

Postgewerkschaft Harburg: 30 KPD-Mitglieder[15]

Holzgewerkschaft Harburg: 30 KPD-Mitglieder

Baugewerkschaft Harburg: 135 KPD-Mitglieder

Metallarbeiterverband Harburg: 258 KPD-Mitglieder, 1/3 der Funktionäre in der KPD 

Fabrikarbeiterverband Harburg: absehbar mehrere Hundert KPD-Mitglieder.[16]

Nach dem Hamburger Aufstand gingen diese Positionen meist verloren, teils weil die SPD-Gewerkschaftsleitungen durch Satzungsänderungen Ausschlussgründe schufen, teils weil durch Unklarheiten der nun ultralinken KPD-Führung in Hamburg die gewerkschaftsskeptischen Stimmungen an der Basis wieder zunahmen.[17] Auf einer Mitgliederversammlung der Harburger KPD im Mai 1924 (240 Teilnehmer) standen sich Positionen wie „Wir halten die Gewerkschaften am Leben – wenn wir gehen, gehen die Sozialdemokraten auch“ und „Wenn unsere Betriebszellen erst funktionieren, können wir die Gewerkschaften zerschlagen“ unversöhnlich gegenüber. Allerdings – wie in der Gewerkschaftsbewegung oft zu vermerken – hing die Hinwendung zu den jeweiligen Positionen stark von den jeweiligen betrieblichen Meinungsführern ab und schwankte daher von Betrieb zu Betrieb.

Die gewerkschaftliche Verankerung der Harburger Kommunisten war zu dieser Zeit in den Betrieben Eisenbahn, Städtisches Elektrizitätswerk, Internationale Galalith, Hafenbetriebsgesellschaft immer noch sehr stark, bei Phoenix, Thörl, Traun u. Söhne, Norddeutsche Chemische hingegen sehr schwach.[18]

 

Zum Hamburger Aufstand im Oktober 1923

Im Buch „Die radikale Linke...“ standen bei diesem Thema drei bis dahin noch unbeantwortete Fragen im Mittelpunkt: Wie war der Ablauf der Ereignisse in Harburg-Wilhelmsburg im Detail, welche (verschiedenen) Akteure sind erkennbar, und gab es organisatorische Verbindungen zum Hamburger Aufstandszentrum?

Zu den ersten beiden Fragen hat sich in den letzten Jahren nichts weiter ergeben; hier waren die Quellen im wesentlichen ausgeschöpft. In Harburg und Wilhelmsburg kam es während des Aufstands zu mächtigen Streikaktionen – in Harburg mit einer weitaus breiteren Basis als in Hamburg – und zu massenhaftem öffentlichen Aufruhr. Als Trägerschichten lassen sich einerseits die organisierten Arbeiter erkennen, andererseits im der Form von Hungerrevolten spontan agierende Bewohner der innerstädtischen Elendsquartiere. Neues ergab sich aber hinsichtlich des Zusammenhanges der Hamburger und der Harburger Ereignisse.

Grundlage dieser Erkenntnisse war die kritische Analyse zweier Zeitzeugenberichte, die Harburger Vorgänge vom Oktober 1923 am Rande streifen: die von der Hamburger Polizei unmittelbar nach den Ereignissen protokollierten Aussagen des KPD-Kuriers Willi Selbiger[19] und die 1941 in Amerika veröffentlichten Erinnerungen des KPD-Seeleute-Funktionärs Richard Krebs.[20] Beide Quellen werden – aus guten Gründen – von der seriösen Forschung in der Regel nur mit der Kneifzange angefasst.[21] Als alleiniger Beleg für historische Ereignisse/ Verhältnisse taugen sie auf keinen Fall. Setzt man ihre Aussagen aber mit anderweitig belegten Fakten in Beziehung, können sie durchaus zur Präzisierung unserer Kenntnisse beitragen.

Beginnen wir mit Richard Krebs: Er sei, so seine Darstellung, als Führer einer ca. 20-Mann starken bewaffneten Gruppe der Hamburger „Roten Marine“ von einer Leitungsbesprechung im Sitz der KPD-Bezirksleitung am Valentinskamp in den Süden Harburgs abkommandiert worden. Er sollte „an einer bestimmten Stelle“ der Eisenbahnverbindung Bremen-Hamburg die Gleise zerstören, um Militärtransporte nach Hamburg zu unterbinden. Er sei mit dem Vorortzug von Hamburg nach Harburg gefahren, habe in der Nähe des Bahnhofs aus einem von Harburger Genossen vorbereiteten Depot gestohlener Fahrräder ein solches erhalten, sei zum Einsatzort gefahren und habe dort mit den anderen Mitgliedern seiner Gruppe sowie „Ortskommunisten“ ab etwa ein Uhr nachts den Auftrag durchgeführt.[22]

Nun Selbiger: Er gab an, am Abend des 22.10. von einer Versammlung von ca. 60 Kurieren des Kurierdienstes am nördlichen Hafenrand Hamburgs (An den Mühren 72) in den Süden beordert worden zu sein, um „von Ortsgruppe zu Ortsgruppe“ die Losung der Aufstandsleitung („Hamburg schlägt los, schlagt auch ihr los, aber auf eigene Faust“) durchzugeben. Dabei hatte er offenbar zunächst Wilhelmsburg berührt. Seine Kontaktleute seien hier ein Lauke als militärischer Kopf und ein Rogalski und ein Fitzner als Verbindungsmänner gewesen. Er habe die Botschaft überbracht, dass sich Wilhelmsburg vor allem um die Unterstützung der Hamburger Einsatzkommandos mit rund 150 Genossen bemühen solle. Dies scheine auch geklappt zu haben.

Weiter sei er dann nach Harburg gefahren, von wo er Kurierketten nach Winsen, Buchholz, Tostedt organisiert habe. Seine Kontaktleute in Harburg seien ein Genosse Schwanz und ein „Kupferschied Krüger“ als politische Leitungskräfte und ein Reck als Kurier gewesen. Er erfuhr auch von der Eisenbahnaktion, die seiner Darstellung nach am 23.10. in Buchholz stattgefunden hatte. Er blieb offenbar zwei Tage in Harburg, denn er gestand die Beteiligung an einer dortigen Schießerei, die erst am Mittag des 24.10. stattfand. Nach dem Ende der Aufstandshandlungen in Hamburg habe er Harburg verlassen, verschiedene Kontaktleute an der schleswig-holsteinischen Westküste aufgesucht und sich schließlich im eiderstedtischen Garding der Polizei gestellt.

Einmal abgesehen von der Frage, was auf persönlichem Erleben der Berichterstatter beruhte und was nicht – welche dieser Angaben können wir als mehr oder weniger gesichert ansehen?

Die behauptete Wilhelmsburger Unterstützung durch direkte Beteiligung an den Hamburger Aktionen wird durch ein (zugegeben) kleines Indiz gestützt. Der Wilhelmsburger Kommunist Theodor Hein wurde nach dem Aufstand wegen Tätlichkeiten in Schiffbek verfolgt und floh in die Sowjetunion. Nach einer Amnestie kehrte er Mitte der 1920 Jahre zurück und wurde eine der wichtigsten Führungspersönlichkeiten der Wilhelmsburger KPD, zeitweilig auch Mitglied der Bezirksleitung Wasserkante. Aufgrund der Amnestie sind die Prozessakten nicht mehr verfügbar.

Da sind ferner die Personenangaben. Von den durch Selbiger denunzierten Personen sind als einheimische Kommunisten nachweisbar:

Der Wilhelmsburger Arbeiter Bruno Rogalski, Henriettenstr. 4, Gemeinderat KPD 1924 bis 1927[23]

Der Harburger Arbeiter Hermann Fitzner, Baustraße 2, 1924 KPD-Kandidat für die Bürgervorsteherversammlung[24]

Der Harburger Sattlermeister Helmuth Schwanz, Wilstorfer Straße 52, KPD seit 1921, Bürgervorsteher seit 1927[25]

Der Harburger Kupferschmied Paul Krüger, Baustraße 5, geb. 9.7.1889, USPD seit 1919, KPD seit 1920, Bürgervorsteher seit 1925.[26]

Dann der Anschlag auf die Eisenbahnanlagen: Er entspricht zum einen einem Handlungsmuster, dass von gleichartigen Aktionen im Norden Hamburgs bekannt ist: aus Ahrensburg etwa und aus Bargteheide. Auch hier war das Ziel der Aufstandsleitung, unterstützende Militärtransporte zur Bekämpfung des Aufstands zu verhindern oder zumindest zu verzögern. Hinsichtlich dieser Aktion unterstützen sich die Angaben Selbigers und Krebs` überdies gegenseitig.

Insofern ist Selbigers Aussage, es habe sich um den Bahnhof Buchholz gehandelt, durchaus glaubhaft. Sie passt auch in den Rahmen der unbestimmteren Ortsbestimmung durch Krebs. Sie plausibilisiert auch dessen Erwähnung von „Ortskommunisten“: Buchholz war, eben aufgrund eines an diesem Eisenbahnknotenpunktes angesiedelten großen Eisenbahnbetriebswerks, eine starke und außerdem die einzige kommunistische Hochburg im südlichen Umfeld Harburgs.[27] Schließlich: Der erwähnte Helmuth Schwanz war vor 1923 Leiter der KPD-Ortgruppe Buchholz gewesen,[28] laut Selbiger soll er die Aktion am Buchholzer Bahnhof geleitet haben.[29]

(5) Eisenbahner des Buchholzer Bahnbetriebswerks 1925

 

Bezogen auf die o.g. dritte Frage, wie im Hamburger Aufstand vom Oktober 1923 die Verbindungen zwischen dem Aufstandszentrum in Hamburg und dem Vorort Harburg beschaffen waren, lässt sich mithin die folgende präzisierende Aussage treffen:

Die Aktivitäten der Harburger KPD waren auf enge Weise mit dem zentralen Aufstandsgeschehen in Hamburg verknüpft, indem beide auf demselben, im Sommer 1923 entwickelten Rahmenplan für den Aufstand basierten. Hierauf lässt zum einen die erfolgreiche Aufstellung von 2-3 „Proletarischen Hundertschaften“ schließen, die während der Aufstandstage vorwiegend als Ordner in Harburg eingesetzt wurden.[30]

In diesem Plan waren vermutlich auch die beiden Hauptaufgaben der Harburger KPD festgeschrieben, die von der Ortsgruppe dann auch tatsächlich realisiert wurden: die politische Mobilisierung der Harburger Industrie- und Hafenarbeiter zu einem machtvollen örtlichen Generalstreik sowie die organisatorische und personelle Hilfe bei der Eisenbahnaktion in Buchholz.

Diese Einbindung wurde durch enge operative Zusammenarbeit mit Hamburger Einsatzstrukturen während des Aufstandes selbst (Kommandogruppe der „Rote Marine“, Kurierdienst) begleitet.

Die enge Einbindung Harburgs kennzeichnete übrigens auch die Tage unmittelbar nach dem Aufstand. In einer Eckkneipe in Wilstorf hatte das Mitglied der Harburger KPD-Ortsgruppenleitung, der Schlosser Heinrich Schubarth, vor oder während des Aufstands eine Vermittlungsstelle für die Ausschleusung verfolgter Aufstandsteilnehmer eingerichtet. Sie kamen aus St. Georg, Barmbek, Schiffbek usw. hierhin, wurden in Wohnungen versteckt, bis ihnen gefälschte Papiere und Adressen für die Weitereise besorgt waren. Die Harburger Polizei konnte dies aufgrund einer Denunziation am 10.11.1923 unterbinden, die Hamburger Justiz, die daraus ein Gerichtsverfahren machte, musste aber Schubarth am 1.3.1924 aus Mangel an Beweisen freisprechen.[31]

 

Korrekturen/ Ergänzungen

Eine wichtige Aussage im Revolutionskapitel des Buches „Die radikale Linke...“ gilt es zu korrigieren: In Anlehnung an eine mündliche Überlieferung Grete Dreibrodts, erstmalig veröffentlicht in „Rote Fahnen über Harburg“ , habe ich den Heimfelder Kommunisten Kurt Hüllner als Novemberrevolutionär und Teilnehmer des Kieler Matrosenaufstands gekennzeichnet.[32] Nach Einsicht in die Wiedergutmachungsakte Hüllners mag ich dies nicht aufrecht erhalten.

In seinem – im übrigen sehr bewegenden – Lebenslauf schildert Hüllner seinen Werdegang in jenen Jahren sehr genau: Geboren am 17.2.1897 als uneheliches Kind einer Dienstmagd, wuchs er auf dem Land bei Potsdam auf, zunächst beim Großvater, ab 1905 bei Onkel und Tante. Dort musste er schon als Kind vor der Schule das Vieh versorgen, nach der Schule kam die Feldarbeit. 1911 folgte die Lehre bei einem Schmied in Oranienburg, nach deren erfolgreichem Abschluss Fabrikarbeit in der „Deutschen Waffen- und Munitionsfabrik“. 1914 meldete er sich freiwillig zum Kriegsdienst. In Flandern und Verdun verwundet, wurde er nach Paderborn in die Etappe überstellt und dort nach Kriegsende entlassen. 1919 bis 1923 arbeitete er als Handlanger bei einem Leipziger Gemüsehändler. 

Noch 1923 wechselte er nach Harburg und fand Arbeit bei einem Schmied in Moorburg. Als dieser 1924 pleite ging, wurde er Anstreicher in Hamburg. Dann fand er Beschäftigung bei Thörl, ab Januar 1926 bei der Harburger Stadtreinigung. Der KPD trat er kurz nach seiner Ankunft in Harburg 1923 bei. 1925 heiratete er Catherine Meier, die ein Kind mit in die Ehe brachte.[33]

Vermutlich handelt es sich hier um eine Namensverwechslung Grete Dreibrodts. Welchen der lange schon verschollenen Genossen sie wirklich meinte, wissen wir nicht.

Kurt Hüllner wurde bei der Stadtreinigung bald ein angesehener und jeweils mit großen Mehrheiten wiedergewählter Betriebsrat. Seit einem Stellenabbau 1929 war er arbeitslos. Seit 1933/34 politischer Leiter der Heimfelder KPD im Widerstand, geriet er als einer der Ersten in die große Verhaftungswelle der Gestapo 1934/ 35. Er wurde in deren Harburger Wache von den Beamten Kiesel und Timmermann mit Billigung ihres Vorgesetzten Beek auf besonders brutale Weise misshandelt und direkt von der Wache mit kompletten Nierenversagen ins Allgemeine Krankenhaus Harburg eingeliefert, wo er mehrere Wochen mit dem Tode rang. Bis 1939 Zuchthaus Celle und KZ Aschendorf/ Celle, dann unmittelbar Arbeit bei Noblee und Thörl bis 1947, danach Hafenarbeit bis 1953, schließlich überwiegend arbeitsunfähig.

Sein Anliegen, die Arbeitsunfähigkeit als Folge der schweren Misshandlungen 1934 und während der KZ-Haft anerkennen zu lassen, scheiterte Anfang der 1960er Jahre am Unwillen der Behörden. Im Bestreben, seine Beschädigungen von den beiden Kriegs-Verwundungen abzuleiten, ließen sie sich seine Lazarettakten aus dem I. Weltkrieg vorlegen. Dagegen gelang es ihnen angeblich nicht, die Behandlungsakten aus dem Allgemeinen Krankenhaus Harburg von 1934 zu beschaffen. Kurt Hüllner starb 1972.[34]

Ferner ist eine kleine Ergänzung der Ereignisgeschichte nachzutragen: Zu den Personen, die wegen der Schießereien am 24.10.1923 verhaftet und angeklagt wurden, gehörte der Arbeiter Franz Papior, Elisenstraße 31, geb. am 2.4.1894. Er soll auf Polizisten geschossen haben. Er wurde zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt. Papior ist weder vor noch nach 1923 als Mitglied der Arbeiterparteien oder als Gewerkschafter in Erscheinung getreten.[35]

 

Bildnachweis

(1) Archiv Gotthardt

(2) Wikipedia

(3) Wikipedia

(4) Daitz, Werner: Der Weg zur Volkswirtschaft, Großraumwirtschaft und Großraumpolitik. Herausgegeben vom Zentralforschungsinstitut für nationale Wirtschaftsordnung und Großraumwirtschaft, Dresden 1943

(5) https://www.buchholz.de/medien/bilder/1925____eisenbahner_vor_lokschuppen___postkarte.jpg?20081230132259

 

Anmerkungen

[1] Die Linke..., S. 13-18.

[2] Ebd., S.17, zit. n. Ullrich, Volker: Die Hamburger Arbeiterbewegung vom Vorabend des ersten Weltkriegs bis zur Revolution 1918/19, Hamburg 1976, Bd. 1, S. 310.

[3] Bundesarchiv (BA) R 3003 J 301/ 16.

[4] Ullrich 1976 Bd. 2, S. 153.

[5] Ebenda, Bd. 1, S. 347.

[6] Ebenda, S. 170, 195; Schult, Johannes: Geschichte der Hamburger Arbeiter 1890–1919, Hannover 1967, S. 315–323.

[7] StA Stade Stade 171 a Nr. 270. Vgl. den Polizeibericht zu den Harburger Unruhen in StA Hann Hann. 122 a Nr. 7035.

[8] Ullrich 1976, S. 504; Reh, Sabine: „Man gibt uns Unterricht statt Brot“. Arbeitslosenbildung zwischen Arbeitsmarktpolitik und Wohlfahrtspflege, Hamburg 1995, S. 75–85.

[9] Ullrich 1976 Bd. 2, S. 91; vgl. Reh 1995, S. 85–96.

[10] Volksblatt v. 8.4.1932.

[11] Meyer, Hans-Joachim: Rote Fahnen über Harburg, Harburg 1998, S. 19 f.

[12] Zum Umbau der Volks- und Weltwirtschaft. In: Das freie Wort. 16. Jahrgang, Nr. 15/16, November 1916; wiederveröffentlicht in dem Daitz-Sammelband „Der Weg zur völkischen Wirtschaft, Dresden 1943.

[13] https://homepages.uni-tuebingen.de//gerd.simon/ChrDaitz.pdf, 23.2.2017.

[14] StAH 331-1 Nr. 898.

[15] StAH ES Nr. 10977.

[16] BA RY I/ I 3/ 16/ 61.

[17] StAH ES Nr. 10977; vgl. Bericht über die Verhandlungen des 9. Parteitages der Kommunistischen Partei Deutschlands, Berlin 1924, S. 64 ff.

[18] BA RY I/ I 3/ 16/ 26.

[19] StAH 215-2 C 157/ 24 Bde 2 u. 6. Selbiger machte derart umfangreiche und widersprüchliche Aussagen, dass er in der Literatur gelegentlich als „Spitzel“ bezeichnet wird. Der Hamburger Staatsanwaltschaft waren seine Aussagen zu unheimlich, um sie im Hauptverfahren „Urbahns und Gen.“ als Beweise einzubringen. Über das Motiv seiner Aussagen und über sein späteres Schicksal ist nichts bekannt.

[20] Veröffentlicht unter Pseudonym als Valtin, Jan: Out of the Hell, New York 1941, hier zitiert nach der deutschen Ausgabe „Tagebuch der Hölle“, Nördlingen 1986, S. 60-62. Über Krebs-Valtins Quellenwert ist in der Literatur viel reflektiert worden, vgl. zuletzt Weiss, Holger: The International of Seamen and Harbour Workers – A Radical Labour Union of the Waterfront or a Subversive World Wide Web? In: https://www.abo.fi/fakultet/media/29133/cowopa29weiss.pdf, 2.1.2017.

[21] Generell ist stark zu bezweifeln, ob die Erzählungen der Beiden a) gänzlich wahr sind und b) auf überwiegend Selbsterlebtem gründen. Es wurde auch Manches daruntergemischt, das ihnen nur vom Hörensagen bekannt war. Auffällig ist auch eine durchgängige chronologische Unschärfe: Ereignisse werden gelegentlich einen Tag nach vorne oder nach hinten verlegt, von Selbiger, um sich für bestimmte Zeiträume Alibis zu schaffen, von Krebs, um die Fülle des angeblich selbst Erlebten überhaupt in einem glaubwürdigen Erzählstrang unterbringen zu können. Jedoch stimmen die Berichte ansonsten mit bislang ermittelten Aktionen recht gut überein. Selbigers Personenangaben sind darüber hinaus überwiegend stimmig.

[22] Als Zeitpunkt dieser Auktion gab Krebs die „Nacht zum 22. Oktober“ an. Dies ist unglaubhaft, denn ein am frühen Morgen des 22.10. durchgeführter Anschlag hätte unweigerlich die Konspiration des „Wachensturms“ in Hamburg ab 23.10./ 5.00 Uhr morgens zerstört. Wenn es sich hier nicht um einen Übersetzungsfehler handelt, dann um eine „literarische Freiheit“, mit der Krebs seine folgende Darstellung, er habe am 23.10 um 5.00 morgens an der Erstürmung der Polizeiwache 42 in Eimsbüttel teilgenommen, glaubhafter zu machen. Dies wäre ihm schwerlich möglich gewesen, hätte er die Eisenbahnaktion in die Nacht vom 22. auf den 23. gelegt, an dem sie vermutlich stattgefunden hat.

[23] BA RY 1/ 13/ 16/ 14; Wilhelmsburger Zeitung v. 30.4.1924.

[24] Harburger Anzeigen und Nachrichten v. 30.4.1924.

[25] Volksblatt v. 10.9.1927; Die Linke, S. 87.

[26] Die Linke, S. 84.

[27] Vgl. Stegmann, Dirk (Hg): Der Landkreis Harburg 1918-1949, Hamburg 1994, S.144; SPD Syburg/ Buchholz: Der Ortsverein Syburg/Buchholz 1894–2014, in: http://www.spd-syburg.de/3.html, 15.1.2017.

[28] BA RY1/I 3/ 16/ 22; BA RY1/I 3/ 16/ 40.

[29] StAH 215-2 Nr. C 157/24 Bd. 2.

[30] Vgl. hierzu Berichte der Bezirksleitung Wasserkante (Hommes) an das ZK der KPD v. Juli und August 1923, in: BA RY I/ I 3/ 16/ 22. Hommes erwähnte hier u.a. den eklatanten Mangel an Schusswaffen.

[31] StAH 215-2 Nr. C 99/24.

[32] Meyer, Hans Joachim: Rote Fahnen über Harburg, Harburg 1998, S. 26.

[33] StAH 351-11 Nr. 19733.

[34] Ebd.; Eine Schilderung seiner Misshandlung 1934 enthält die Prozessakte Kiesel von 1948: StAH 213-11 Nr . 03355/ 53.

[35] StA Stade Stade 171 a Nr. 433.

 

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