Arbeiteraristokratie in der Hoppenstedtstraße

Harburger Sozialtopographie 1932

Text: Christian Gotthardt
Veröffentlicht: April 2016

(1) Neubaugebiet Hoppenstedtstraße: Im Süden der Straße die erste Bebauung 1926/27, nördlich der Straße die Hauszeilen von 1928/29

 

Die Hoppenstedtstraße erzählt ein starkes Stück Harburger Geschichte. Ihre Anlage und Ausgestaltung sind der in Stein gefasste Ausdruck sozialdemokratischen Führungsanspruchs. Sie zeigt den damaligen kulturellen Aufbruch in „Neues Bauen“ ebenso wie ein bedenkliches Maß an Selbstbedienungsmentalität und Klientelpolitik. Wer Erklärungen für das Scheitern einer Einheitsfront gegen den Faschismus sucht, muss auch solche Kapitel aufschlagen.

 

Wohnen war in den 1920er Jahren in Harburg eines der wichtigsten kommunalpolitischen Themen. Es war zum einen existenziell: Der spekulative private Wohnungsbau war mit Kriegsbeginn 1914 zum Erliegen und auch Mitte der 1920er noch nicht wieder auf die Beine gekommen, es herrschte Wohnungsmangel. Daraus erwuchs, zum zweiten, politische Brisanz: Wohnungsmangel war ein Problem der kleinen Leute, und wer seine Macht auf deren Stimmen gründen wollte, musste das Problem lösen. Und schließlich: Es handelte sich um eines der wenigen Felder, in der sich der Gemeinde trotz kapitalistischer Rahmenbedingungen echte Handlungsspielräume für den „Kommunalsozialismus“ boten.

 

 

 

Die Mieten

An dieser Stelle ist zunächst ein Blick auf die Höhe der Mieten sinnvoll. Der Altbaubestand (Baujahr vor 1914) war staatlich reguliert. Für die Mieten galten Obergrenzen, in Hamburg etwa durften 1930/31 die Mieten für 2-3 Zimmerwohnungen 124 % der „Friedensmiete“ nicht übersteigen. Das ergab für solche Wohnungen im Altbau eine durchschnittliche Miete von etwa 440 Mark pro Jahr. Für Neubauwohnungen dagegen wurden Kostenmieten kalkuliert, die dann allerdings durch Zuschüsse aus dem Hauszinssteueraufkommen (der Einkommensteuer der Vermieter) „herunterreguliert“ wurden. Sie lagen am Ende mit durchschnittlich ca. 500 Mark pro Jahr für eine kleine 2-Zimmerwohnung von 42 qm dennoch 45-55 % über den Kosten der nach qm-Zahl vergleichbaren Altbauwohnungen. Für den bei Neubauwohnungen zumeist erforderlichen Genossenschaftsanteil sowie einen Baukostenzuschuss waren überdies eine bis anderthalb Jahresmieten aufzubringen. Für einen durchschnittlichen Arbeiterhaushalt (mit Arbeit), der von ca. 4000 Mark Jahreseinkommen rund über 60 % für den täglichen Bedarf aufwenden musste und für Miete nicht mehr als 10 %, also maximal 400 Mark übrig hatte, kamen Neubauwohnungen damit kaum in Betracht. Sie waren eher etwas für Meister, mittlere Angestellte, Beamte des gehobenen Dienstes oder noch kinderlose Paare mit zwei Einkommen.[1]

Diese Hamburger Zahlen stimmen mit den Harburger Verhältnissen in etwa überein. Allerdings ist anzumerken, dass die sehr präzisen Harburger Einzelakten der Wiedergutmachungsstelle in der Hamburger Sozialbehörde für die 1920er und 1930er Jahre, im Vergleich mit dem oben genannten Hamburger Durchschnittseinkommen, deutlich niedrigere Facharbeitereinkommen ausweisen (ca. 3000,- Mark/a). Dies ist besonders glaubwürdig, da Antifaschisten das Interesse hatten, zum Nachweis verfolgungsbedingter Verdienstausfälle für diese Zeit hohe Einkommen nachzuweisen. 1928, als die Kommune das „Programm III“ für den Wohnungsbau auflegte, kalkulierte die Bauverwaltung für 585 Kleinwohnungen von 42 und 45 qm in Wilhelmsburg und Heimfeld mit Kostenmieten von ca. 500 Mark pro Jahr, die dann mit öffentlichen Zuschüssen auf 400 Mark abgesenkt werden sollten.[2] Das war für Harburger Arbeiterfamilen, auch für solche mit einem ernährenden "gutverdienenden" Metallarbeiter im Akkord, in der Regel unerschwinglich.

 

Die Positionen der Arbeiterparteien

Die Harburger KPD orientierte sich bei der Formulierung ihrer Hauptforderungen an den drängendsten Sorgen und Nöten der Kleinmieter. Kern ihrer Strategie war die Entspannung des Wohnungsmarktes vor allem bei den kleinen und kostengünstigen Einheiten (1-2 Zimmer). Dafür sollte die Kommune selbst als Mehrheitsgesellschafter einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft massiv Neubauprojekte vorantreiben. Mindestens 60 % der Hauszinssteuer-Einnahmen sollten hierbei Verwendung finden. Bei den Komponenten der „2. Miete“ wie Wasser, Gas, Strom usw. sollten die einschlägigen städtischen Eigenbetriebe durch eine soziale Staffelung der Gebühren und Tarife den Druck lindern. Eine Wohnung zu mieten sollte erschwinglich und kalkulierbar werden, statt sich - besonders im Alter oder bei Krankheit und Arbeitslosigkeit - zu einem weiteren Lebensrisiko auszuwachsen.[3]

 

 

Die SPD wählte in entscheidenden Feldern andere Positionen. Sie scheute den direkten Einstieg der Kommune in den Wohnungsmarkt und strebte statt dessen eine tragende Rolle der Wohnungsbaugenossenschaften an. Diese sollten die Investitionen durch eine Verknüpfung von Eigenmitteln der Genossen, billigen öffentlichen Krediten und Hypothekendarlehen SPD-dominierter Unternehmen stemmen. Als Projektträger bzw. Generalunternehmer sollte – reichsweit – die DEWOG („Deutsche Wohnungs-Fürsorge Aktiengesellschaft“) ins Spiel kommen, die mehrheitlich im Besitz der Dachverbände sozialdemokratischer Arbeiter-, Angestellten und Beamtengewerkschaften war. Die SPD wollte, zugespitzt formuliert, das Geld der Gemeinde nicht den Ärmsten hinterherwerfen, sondern als Lockmittel zur Mobilisierung des Ersparten besser verdienender Arbeiter-, Angestellten- und Beamtenfamilien nutzen. Würden deren Interessen nach komfortablen, auch größeren Einheiten bedient, dann könnten ihre derzeitigen Wohnungen frei werden und sich so auch die Engpässe am Markt der Billigwohnungen auflösen.[4]

Die Kette der Neubauvorhaben in Harburg seit 1926 entwickelte sich in Summe als eine Kombination dieser beiden Strategien. Hatten die ersten Siedlungen der Baugenossenschaft „Eigenheim“ in Wilstorf (Bebelstraße 1919/20, Heinrich-Heine-Straße 1924/25) mit ihren Einzelhäusern noch Gartenstadt-Charakter, so gestalteten sich später Blockbebauungen in Heimfeld-Nord (Nobléestraße, Friedrich-Naumann-Straße) und dem oberen Wilstorf (Fritz-Reuter-Straße, Dürerstraße) urbaner. 1926 bis 1929, bei der Bebauung der Hoppenstedtstraße in Eißendorf, wurden erstmalig mehrgeschossige, quer zur Straße liegende Zeilenbauten errichtet. Die SPD konnte, schon aufgrund der klammen Stadtkasse, die Rolle der Genossenschaften stärken. Mit dem Vorrang des Kleinwohnungsbaus setzten sich KPD und Mieterpartei durch, weil ihnen auch die Bürgerlichen beisprangen, die den Anbietern großer Mietwohnungen öffentliche Konkurrenz vom Halse halten wollten.[5]

 

 

 

Der Skandal 1928

Zu Beginn des Jahres 1928 ging die SPD mit einem Versuch, den strategischen Rahmen für den sozialen Wohnungsbau neu zu fixieren, in die Offensive. Hintergrund waren die neuen, für die SPD günstigen Stimmengewichte nach der Vereinigung mit Wilhelmsburg 1927, unmittelbarer Anlass der beginnende Planungsvorlauf für das Bauprojekt Adolf-von-Elm-Hof in Eißendorf. Die SPD wollte hier 186 Zwei-/Dreizimmerwohnungen mit Küche, Bad und großem Balkon sowie eine Projekträgerschaft, in der eine führende Rolle des „gemeinwirtschaftlichen“ Netzwerks aus Genossenschaften, Produktion und Volksfürsorge institutionell abgesichert war.

Die KPD reagierte scharf. Sie warf der SPD vor, „Bonzenwohnungen“ zu planen und deren Vergabe über das Vehikel Gemeinwirtschaft zur Parteisache zu machen. Im Mittelpunkt der Kritik stand die SPD-dominierte Wohnungsbaugenossenschaft „Wohnungskultur“ und ihre Rolle bei der Planung und Besiedlung des gerade entstehenden Häuserkomplexes Hoppenstedtstraße.[6]

 

 

(2) Die neue Hoppenstedtstraße erschloss einen alten Drillplatz des Kaiserlichen Heeres für den Wohnungsbau

 

Was geschah hier?

Projektträger an der Hoppenstedtstraße waren zwei Gesellschaften, zum einen die städtische „Baugenossenschaft Hoffnung eGmbH“, zum anderen die erwähnte „Gemeinnützige Baugenossenschaft Wohnungskultur eGmbH“.

Projektpart der städtischen Gesellschaft war die Gestaltung der großen Freifläche nördlich der Straße. Die Gesellschaft platzierte hier 1928/29 dreigeschossige, in Nord-Südrichtung gestreckte Zeilenbauten, mit insgesamt ca. 150 Wohnungen.

 

(3) Die Zeilenbebauung auf der Nordseite der Straße

 

„Wohnungskultur“ hatte sich bereits 1926/27 der attraktiveren Südseite gewidmet. Hier waren in West-Ost-Richtung Doppelhäuser in ziemlich konventioneller Bauweise entstanden, eine ins kleinbürgerliche Format geschrumpfte Kette von putzigen Vorort-Villen, mit großen Gärten in Südlage und einem herrlichen Blick hinab ins Göhlbachtal – mit insgesamt ca. 50 Wohneinheiten (25 als Einzelhäuser, ca. 25 in 5 Mehrfamilienhäusern, plus/minus Untervermietung).

Was da im Süden sich herausgebildet hatte, war eine Art Sunset Boulevard der Harburger Arbeiteraristokratie. Viele, aus kommunistischer Sicht allzu viele, die in der Harburger SPD Rang und Namen hatten, fanden hier ihr Zuhause. Wilhelmsburger Parteifamilien wie Pischel, Grabbert, Riedlinger, nun Teil des sozialdemokratischen Establishments der vereinigten Großstadt, siedelten hierhin über.

 

Sozialdemokratische und kommunistische Parteimitglieder in der Hoppenstedtstraße 1932

(4) Der Platz an der Sonne ist klar zugeteilt

 

SPD

1 Angermeyer, Heinrich, Bauamt

1 Pischel, Hubert, Schlosser

1 Pohlmeyer, Heinrich, Schriftleiter Volksblatt, Bürgervorsteher

1a Martens, Heinrich Hellmuth, Verwalter

3 Moje, Dominikus, Vors. des Nahrungsmittel- und Getränkearbeiterverbandes

5 Lühring, Wilhelm, Gewerkschaftssekretär

7 Berliner, Julius, Plattensetzer

17 Breu, Ernst, Dreher

19 Stoltz, Otto, Ex-Volksblatt-Herausgeber, Bürgervorsteher

19 Weigel, Kurt, Parteisekretär, 1. Vorsitzender Ortsverein, Bürgervorsteher

21 Günther, Otto, Gewerkschaftssekretär, Bürgervorsteher

23 Fuß, Max, Gewerkschaftssekretär, Lagermeister

25 Grabbert, Wilhelm, Volksblatt-Herausgeber, Senator

29 Fuß, Wilhelm, Werkmeister

29 Riedlinger, Otto, Gewerkschaftssekretär, Senator für Wohnungsbau

31 Peter, Friedrich, Vorarbeiter

35 Sattmann, Karl, Kaufmann

35 Sattmann, Anna, geb. Riedlinger

37 Peter, Ludwig, Betriebsratsvorsitzender Phoenix

39 Lamprecht, Alfred, Verwaltungsbeamter

41 Schulenburg, Johannes, Volksblattangestellter

45 Sander, Willy, Handlungsgehilfe, Funktionär des Zentralverbands der Angestellten

47 Riedlinger, Karl, Kellner

49 Jahnke, Ernst, Lagerhalter, Verkäufer

51 Kloock, Heinrich, Tischler, Vors. des "Vereins Landheim Estetal" der Sammelschule

53 Kanzler, Oswald, Parteisekretär, Bürgervorsteher

55 Westphal, Karl, Tischler

55 Westphal, Henriette, Bürgervorsteherin

57 Freystedt, Erich, Polizeihauptwachtmeister

59 Nowack, Friedrich, Geschäftsführer Fabrikarb., Reichstagsabgeordneter

59 Schubert, Ernst, Schriftleiter Volksblatt

 

KPD

18 Klenke, August, Laborant

20 Thedorf, Emil, Parteisekretär

42 Coerber, Heinrich, Redakteur Hamburger Volkszeitung

50 Krupski, Johann, Arbeiter

66 Müller, Heinrich, Arbeiter

66 Wendt, Hermann, Arbeiter

68 Jansen, Charlotte, Hausfrau

88 Callsen, Heinrich, Lehrer

 

Die Vorgeschichte

Wie ist es zu diesem Resultat gekommen? Akten hierzu sind nicht mehr auffindbar. Allerdings: Vom Resultat her betrachtet und unter Einbezug von Selbstaussagen der Beteiligten,[7] erscheint die folgende Vorgeschichte plausibel:

Etwa Mitte 1925 beschließt die Stadt die Entwicklung des Wohngebiets Hoppenstedtstraße und begleitet den Flächenerwerb. Projektträger ist zunächst allein eine neue Genossenschaft ohne städtische Beteiligung, aus dem Umfeld der sozialdemokratisch-gewerkschaftlich dominierten Unternehmen „Produktion“ und „Volksfürsorge“, die „Wohnungskultur“. Sie plant zunächst ausschließlich Einzelhäuser mit großen Gärten, und zwar nicht wie in die Genossenschaft „Eigenheim“ zuvor in Wilstorf für je 3 Familien, sondern als Einfamilienhäuser.

Dies war der Stadt offenbar zu unsozial. Es kommt in der Folge zur Teilung der Baugebiete. Den größeren Teil nördlich der Erschließungsstraße erhält die städtisch geführte Baugenossenschaft „Hoffnung“ und baut hier entsprechend der städtischen Vorgabe Kleinwohnungen. Im Süden plant die „Wohnungskultur“ ihre Einzelhäuser, und dazwischen – auch eine städtische Vorgabe? – fünf stilistisch eingepasste Mehrfamilienhäuser, die später der Genossenschaft „Hoffnung“ zum Erwerb und Betrieb angedient werden. Für die Einzelhäuser sammelt die „Wohnungskultur“ durch persönliche Ansprache die ersten Mitglieder, sämtlich aus dem Kreis der relativ gutsituierten Partei- und Gewerkschaftsbürokratie. Der solvente und vertrauenswürdige Personenkreis sichert der Genossenschaft günstige Hypothekendarlehen von der Volksfürsorge . Eine material- und kostensparende Bauausführung (z.B. “Zollingerdach“) und möglicherweise auch das „Verschneiden“ der Einzelhaus-spezifischen Erschließungskosten mit den in Relation geringeren Erschließungskosten der Mehrfamilienhäuser in der gleichen Zeile bzw. auf der Nordseite sorgen für erschwingliche Mieten. Hier bekamen tatsächlich Träume ein Zuhause.

Im Klartext: Der Bonzenvorwurf traf, saß und schmerzte! Wie denn auch die Getroffenen zu seiner Abwehr sogleich in die untersten Schubladen des Sozialdarwinismus griffen: Das sozialdemokratische Volksblatt sah am Tage nach einer Stadtvertreterversammlung, auf der es besonders hoch her ging, unter den Kritikern „Elemente, die aus der untersten Schicht der Arbeiter, der sogenannten organisationsunfähigen Masse stammten (...) Die Beschimpfungen dieser Leute gegen Genossen von uns, die ein Menschenalter lang im Dienste der Arbeiter ehrlich ihre Pflicht taten, das widerliche Anbiedern nach der rechten Seite hin – wahrhaftig: Ekel muss denjenigen erfassen, der nur ein klein wenig in sich fühlt, was Arbeiter- und Klassenehre heißt. (...) Wie diese Leute der Tag gebar und sie erhob auf den Sessel eines Arbeitervertreters in der Bürgerschaft, so wird die immer stärker fortschreitende Kulturwelle der Arbeiter diese Menschen wieder hinwegfegen in jene unterste Schicht.“[8]

Nun – das Hinwegfegen „dieser Leute“ besorgten zunächst die Krisenwellen der Konjunktur, dann die Verhaftungswellen der Nazis. Doch zurück zum Konflikt von 1928. Armut und Not zu ignorieren, kommunistische Kritik an sozialdemokratischen Positionen als Neidreflexe charakterlich defekter Lumpenproletarier herabzuwürdigen, brachte der SPD nichts ein. Die KPD benannte in der Wohnungsfrage einen wesentlichen Aspekt der sozialen Wirklichkeit, der mit zunehmender Arbeitslosigkeit noch erheblich an Bedeutung gewann und sich auch wahlpolitisch mehr und mehr auswirkte.

 

Der sozialpsychologische Hintergrund

Der Skandal um die Hoppenstedtstraße war letztlich nur ein Randphänomen in einem tiefgreifenden Spaltungsprozess innerhalb der Arbeiterklasse und den Organisationen ihrer Bewegung. So wurde – in Harburg wie in Wilhelmsburg – immer deutlicher erkennbar eine Trennung in kommunistische Hochburgen in Lagen niedriger Wohnqualität (alte, vernachlässigte Häuser; niedrige Mieten, aber auch Mietwucher bei Notlagen; Lärm und verschmutzte Luft durch nahe Industrie und Verkehrsanlagen) und sozialdemokratische Hochburgen mit besserer Wohnqualität (neue Häuser, höhere Mieten, aber kontrollierte Mietsteigerungen, Siedlungs- bzw. Gartenstadt-Architektur). Da die Mieten der Neubauten bis zu 40% teurer waren als die der Altanlagen, bildete diese Aufteilung eindeutig soziale Unterschiede ab: Kommunistisch wählten am ehesten jene, die im Risiko lebten, die ein geringes und unsicheres Einkommen hatten, die also noch auf den sozialen Aufstieg warteten oder denen er verwehrt wurde. Sozialdemokratisch wählten am ehesten die, die ein mittleres und relativ sicheres Einkommen hatten, deren Leben geordnet war oder werden konnte, die ihren Aufstieg erlebten oder erlebt hatten.

(5) Wahlergebnisse 1932 in Harburg

 

Die Unterschiede in den sozialen Lebensbedingungen verfestigten sich schließlich in zwei stark voneinander abweichenden Parteimilieus. Die Spaltung ging letztlich soweit, dass sich diese Milieus gegenseitig als Bedrohung empfanden. Die kommunistische Anhängerschaft kämpfte für das eigene soziale Überleben in der Krise. Sozialdemokraten galten ihr als kleinbürgerliche Opportunisten, die durch den egoistischen Gebrauch der erkämpften politischen und sozialen Institutionen in die eigene Kasse wirtschafteten und sich in ihren „Bonzenburgen“ abschotteten. Für die SPD-Anhänger ging es dagegen um Besitzstandswahrung und gleiche Augenhöhe mit dem Bürgertum in Bildung und Beruf. Kommunisten waren in ihrer Sicht Krakeeler aus den Kneipenvierteln, die viel zu viel verlangten und alles Erreichte gefährdeten.

(6) Wahlergebnisse 1932 in Wilhelmsburg

 

 

Anmerkungen

[1] Hipp, Hermann: Wohnungen für Arbeiter? In: Herzig, Arno/ Langewiesche, Dieter/ Sywottek, Arno (Hg): Arbeiter in Hamburg, Hamburg 1983, S. 471-482.

[2] Volksblatt v. 2.6.1928.

[3] Volksblatt v. 20.10.1928.

[4] Volksblatt v. 11.9.1928, 30.10.1928.

[5] Zur Geschichte des Harburger Wohnungsbaus vgl. Machule, Dittmar: 100 Jahre Städtebau in Harburg. Stadtplanung und Wohnungsbau zwischen 1845 und 1945, in: Ellermeyer, Jürgen/ Richter, Klaus/ Stegmann, Dirk (Hg): Harburg. Von der Burg zur Industriestadt, Harburg 1988, S. 264-294; Hellberg, Lennart/ Albrecht, Heike/ Grunert, Heino: Harburg und Umgebung, Hamburg 1999. Zur Baugenossenschaft „Eigenheim“ vgl. Volksblatt v. 24.9.1928.

[6] Volksblatt v. 22.10.1928.

[7] Volksblatt v. 11.9.1928.

[8] Volksblatt v. 4.2.1928. Autor dieser Tirade war der sozialdemokratische Redakteur, Bürgervorsteher und Hoppenstedtstraßen-Bewohner Heinrich Aloysius Pohlmeyer (1893-1956), der aus Münster an das Volksblatt geholt worden war. Nach KZ und Arbeitslager zwischen 1933 und 1945 wurde er 1946 Herausgeber der Mecklenburger „Landes-Zeitung“, später Dozent an der SED-Journalistenschule, dann Leiter der Abteilung Presse und Rundfunk beim SED-Parteivorstand.

 

Bildnachweis

(1) http://wikimapia.org/28414621/de/Hoppenstedtstraße-30,15.3.2016

(2) Adressbuch Harburg 1932

(3) Archiv Gotthardt

(4) Kartengrundlage s. http://www.openstreetmap.de/karte.html; die farbigen Ziffern wurden vom Verfasser eingefügt

(5) Die radikale Linke

(6) Die radikale Linke

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